Drama - "Parallele Mütter"
Der spanische Regisseur Pedro Almodóvar wurde 1988 fast über Nacht berühmt mit seinem Film "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs". Darin ging es um Liebe, Eifersucht und rasende Wut, am Ende war die Heldin schwanger. Mehr als 20 Jahre später hat Almodóvar jetzt einen Film über Mütter gedreht, über Großmütter, Urgroßmütter und über die Erinnerungen an die Verbrechen des Franco-Regimes.
Die erfolgreiche Fotografin Janis möchte erreichen, dass das Massengrab in ihrem Heimatdorf geöffnet wird. Sie ist bei ihrer Großmutter aufgewachsen. Ihr Urgroßvater wurde von den Schergen Francos abgeführt und ermordet. Deshalb trifft Janis sich mit Arturo, dem Mitarbeiter einer Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Toten aus den spanischen Massengräbern zu bergen. Die beiden beginnen eine Affäre, Janis wird schwanger. Auf der Entbindungsstation liegt sie mit der jungen Ana in einem Zimmer.
Der kantige Titel täuscht
"Parallele Mütter" – der etwas kantige Titel täuscht. Denn Pedro Almodóvar erzählt sehr gefühlvoll von zwei Müttern, die gleichzeitig ihr Kind bekommen. Die Babys müssen zunächst beide auf eine Beobachtungsstation verlegt werden. Als Janis mit ihrer kleinen Tochter wieder zu Hause ist, fällt ihrer langjährigen Freundin und Agentin auf, dass das Kind seiner Mutter nicht ähnelt.
Wer ist die richtige Mutter?
Ein Test beweist, dass die Babys im Krankenhaus vertauscht wurden. Aber Janis will ihre Tochter behalten. Wer ist die richtige Mutter, fragt der komplexe Film - die biologische Mutter oder die Person, die dem Kind ihre ganze Liebe zu Teil werden lässt?
Penélope Cruz lotet mit Hingabe mütterliche Gefühle aus, die Freude, den Zweifel. Später lösen sich Schmerz, Eifersucht und Hass in ihrer Miene ab. Sie wird herausgefordert von der jungen Milena Smit als Ana. Nach der Geburt mausert sich Ana vom trotzigen Teenager zu einer silberhaarigen Gestalt zwischen den Geschlechtern. Die Geschichte führt verschiedene Möglichkeiten der Mutterschaft vor. Janis ist unabhängig, mutig und entschlossen, Job und Kind miteinander zu verbinden.
Almodóvar erzählt eine hochemotionale Story
Mit den temperamentvollen Farben knüpft Pedro Almodóvar an seinen Film "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs" an. Hier aber verschränkt er meisterhaft Pink, Grün und Blau mit den Sepia-Farben der Vergangenheit, den alten Fotos der Ermordeten, der Erde, dem trockenen Gras, das über die Gräber gewachsen ist. Denn Almodóvar bindet seine hochemotionale Story von zwei Müttern und ihren neugeborenen Kindern in die Suche nach den männlichen Vorfahren ein - in die Aufarbeitung der spanischen Vergangenheit.
Janis erreicht, dass das Massengrab, in dem auch ihr Urgroßvater liegt, geöffnet wird.
Aufarbeitung der Geschichte
Erst im letzten Jahr hat die spanische Regierung die staatliche Verantwortung übernommen, die Gebeine der Opfer des Franco-Regimes zu bergen. Mehr als 100.000 Menschen wurden damals anonym verscharrt, lange herrschte Schweigen über die Verbrechen. In einer berührenden Schlüsselszene des brillant fotografierten Dramas legen sich schließlich die Lebenden in das offene Grab.
Bisher hat Pedro Almodóvar Individualität als Entscheidung jeder und jedes Einzelnen verteidigt. In "Parallele Mütter" geht er weiter. Hier ist die Aufarbeitung der Geschichte Voraussetzung für die Freiheit der nachfolgenden Generationen.
Simone Reber, rbbKultur