Drama - "The Card Counter"
Ein mysteriöser Einzelgänger mit dunkler Vergangenheit: So wie einst Robert De Niro in "Taxi Driver" steuert Oscar Isaac in "The Card Counter" mit finsterer Entschlossenheit auf einen kathartischen Endpunkt zu. In dem Spieler-Drama beschäftigt sich US-Regisseur Paul Schrader mit menschlichen Abgründen und der Frage nach Schuld und Sühne.
William Tell (Oscar Isaac) hat längere Zeit im Gefängnis verbracht und verdient sein Geld nun als Profi-Spieler. Sein Erfolgsgeheimnis ist das Kartenzählen, eine Technik, die er hinter Gittern perfektioniert hat. Der smarte Mann mit dem Pokerface weiß immer, welche Karten noch im Stapel sind, kann seine Gewinnchancen dementsprechend einschätzen und geht meistens als Sieger vom Tisch.
Das beeindruckt nicht nur seine Konkurrenten, sondern auch die schöne La Linda (Tiffany Haddish), die ihn als Managerin und Geldbeschafferin unter ihre Fittiche nimmt.
Dunkles Geheimnis
Doch William Tell hat ein dunkles Geheimnis: Ähnlich wie sein berühmter Schweizer Namensvetter will auch er einen Tyrannen umbringen.
Sein Gessler heißt Major John Gordo (Willem Dafoe), einst sein Vorgesetzter im berüchtigten US- Militärgefängnis von Abu Ghraib. Tell hat dort Häftlinge gefoltert und schlimme Gräueltaten begangen und musste dafür acht Jahre ins Gefängnis. Gordo hingegen ging straffrei aus.
Wunsch nach Erlösung
Hin- und hergerissen zwischen der Scham über die eigenen Taten und dem Wunsch nach Erlösung findet Tell keine Ruhe. Er tingelt durch Spielhallen und Casinos, bis er eines Tages durch Zufall den jungen Cirk (Tye Sheridan) kennenlernt, dessen Vater ebenfalls in Abu Ghraib gedient hat. Auch Cirk ist auf der Suche nach Gordo, weil er diesen für den Selbstmord seines Vaters und Zerfall seiner Familie verantwortlich macht.
Doch je mehr die Beiden über Mordpläne und Gewaltfantasien reden, desto mehr wird William klar, dass darin nicht die Lösung ihrer Probleme liegen kann.
Schuld, Sühne und Katharsis
Paul Schrader ist eine legendäre Figur im US- amerikanischen Kino: Er schrieb einst Drehbücher für Martin Scorsese und Francis Ford Coppola, drehte Filmklassiker wie "American Gigolo" und "Light Sleeper" und war auch schon mal Jury-Präsident der Berlinale.
Jetzt, mit 75, beschäftigt sich Schrader noch einmal mit seinen filmischen Lieblingsthemen Schuld, Sühne und Katharsis.
Starke Kontraste
Dabei setzt der US-Regisseur auf starke Kontraste: Am Tag ist William Tell ein nüchterner Typ, der am Pokertisch ganz unauffällig wirkt, am liebsten dezente Farben trägt, und der in seinem Hotelzimmer alle Möbel mit weißen Leintüchern verhängt. In der Nacht allerdings werden die Farben schrill und die Bilder unruhig. Die Verliese von Abu Ghraib, die Tell in seinen Träumen erscheinen, sind eine Art Vorhölle wie in einem Gemälde von Hieronymus Bosch: gequälte Häftlinge, sadistische Wärter, viel Blut, Fäkalien und dazu ein Sound-Inferno aus bellenden Hunden und lauter Heavy Metal-Musik.
Das alles in einem Film zusammen zu bringen, ist gar nicht so einfach. Dennoch schafft es Oscar Isaac, den William Tell zu einer kohärenten und fast schon sympathischen Figur zu machen.
Die zentrale Frage des Films aber, ob man schwere Schuld wirklich abbüßen kann oder nicht, kann auch er nicht beantworten.
Ein "Taxi Driver" gelingt einem nicht alle Tage
Wer einen turbulenten Thriller à la "Ocean’s Eleven" oder "Casino" erwartet, wird von "The Card Counter" vermutlich enttäuscht sein. Wer sich dagegen gerne mit Fragen von Schuld und Sühne auseinandersetzt, für den – oder die – ist der Film durchaus empfehlenswert, auch wenn er nicht ganz an die Intensität von früheren Schrader-Klassikern rankommt. Aber ein "Taxi Driver" gelingt einem auch nicht alle Tage.
Carsten Beyer, rbbKultur