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Drama - "Die stillen Trabanten"

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Der Leipziger Filmemacher Thomas Stuber und der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer haben schon mehrfach zusammengearbeitet. Bereits für seinen Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg hat Stuber eine Erzählung von Meyer verfilmt und damals den Studenten-Oscar in Silber gewonnen. Für die Filme "Herbert" - über einen angeschlagenen Boxer - und "In den Gängen" - über einen Gabelstaplerfahrer – haben die beiden das Drehbuch gemeinsam geschrieben. Das ist jetzt wieder der Fall bei dem Film "Die stillen Trabanten", der auf mehreren Erzählungen von Clemens Meyer beruht.

Der Film dreht sich um die Menschen im Schatten

Die stillen Trabanten – so nennt Jens, der Koch, die Vorstädte von Leipzig mit ihren Hochhäusern und beobachtet, wie dort nachts Stockwerk um Stockwerk dunkel wird. Die Stillen Trabanten, das sind aber auch die unsichtbaren Menschen, die nachts arbeiten müssen. In den verschiedenen Episoden des Films werden sie voneinander angezogen, berühren sich kurz und trudeln dann weiter auf ihrer Umlaufbahn. Auf diese Weise entstehen Geschichten von unterschiedlichen Paaren. Die Bahn-Angestellte trifft die Friseuse. Der Imbissbudenkoch raucht mit seiner muslimischen Nachbarin die letzte Zigarette des Tages und der Wachmann behütet ein ukrainisches Flüchtlingsmädchen.

Das Star-Ensemble übersetzt die Sprache in Choreografie

Schon in dem Film "In den Gängen" hat Thomas Stuber den langsamen Tanz des Gabelstaplers zwischen den Regalen als eine Art Ballett inszeniert. In "Die stillen Trabanten" wählt er die kreisenden Bewegungen der Planeten als Vorbild. Martina Gedeck und Nastassja Kinski übersetzen die Sprache körperlich. Die beiden Frauen treffen sich am Feierabend in einer Kneipe im Hauptbahnhof und flirten miteinander. Nastassja Kinski neigt ihren Kopf, schaut seitlich unter ihrem Pony hindurch, lässt ihre Ohrringe klimpern. Martina Gedeck kreist ihre Hand, als wollte sie feine Gespinste weben. Der Moment der eigentlichen Begegnung der Paare ist sprachlos. Charly Hübner als Wachmann umrundet das Flüchtlingsheim in Sorge um ein Mädchen, das ihn einmal angesprochen hat. Eines Nachts sitzt er bei ihr im Zimmer und massiert ihre Füße. Diese Sekundenbruchteile von Anteilnahme lassen diesen Film so kostbar wirken. Es bleibt offen, ob die Begegnung der Anfang oder das Ende von Liebe war.

Die Stadt Leipzig gibt den Ton an

Der Film folgt dem Takt der Stadt und dem Sound. Leipzig wirkt wie verzaubert, „Die Stillen Trabanten“ sind ein unpathetischer Weihnachtsfilm über Momente der Mitmenschlichkeit zwischen Fremden. Die Schauspieler greifen die weiche, leicht verschleppte Sprache der Leipziger auf, ihre Pausen, die Augenblicke, in denen sich Spannung in ein freundliches Lächeln entlädt. Am faszinierendsten gelingt das Albrecht Schuch, in Jena geboren, der spielt den Koch Jens spielt. Er streichelt fast jedes Wort, ehe er es ausspricht. Von dem Hochhaus, in dem Jens wohnt, kann man über die Stadt sehen. Hier oben trifft er sich auf eine Zigarette mit Aischa, die eigentlich anders heißt. Sie ist die Frau seines muslimischen Nachbarn Hamed. Hoch über der nächtlichen Stadt glimmen die Zigaretten im Gleichklang und die Hände berühren einander beinahe. Da ist das dunkle Leipzig der Ort für Träume, ein Universum in dem kurz vorm Schlafen gehen alles möglich erscheint.

Mehr Dunkelheit als Licht

Im Dunkeln der Nacht zählt jede Lichtquelle. Selbst der Glanz eines provisorischen Aschenbechers, aus Alufolie gebastelt. In den leeren Straßen schalten die Ampeln von rot auf grün. Die winzigen Lichtpunkte funktionieren wie Kerzenschein. Sie lassen die Nacht wärmer, weicher und vielversprechender erscheinen. Noch wichtiger als das Licht ist die Dunkelheit. Sie eröffnet Möglichkeiten und verspricht Hoffnung. Am Ende des Films ist der Tag angebrochen. Die Orte wirken verlassen und profan, arm und ohne Aura. Aber für einige Augenblicke konnten die stillen Trabanten glänzen. Da wird dieser Reigen von Sprache und Schweigen, Stillstand und Bewegung, von Berührung und Entfernung zum Meisterwerk.

Simone Reber, rbbKultur

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