Carl Philipp Emanuel Bach: Light and Darkness - Flötensonaten; Accademia Ottoboni © Arcana
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Album der Woche | 14.11. - 20.11.2022 - "Light and Darkness": Flötensonaten von Carl Philipp Emanuel Bach

Insgesamt 17 Kammermusikwerke mit Solo-Traversflöte hat Carl Philipp Emanuel Bach hinterlassen. Ein knappes Drittel davon hat der Italiener Manuel Granatiero nun für sein Solo-Debütalbum aufgenommen. Er interpretiert die Stücke so begeisternd, dass dies hoffentlich nicht seine letzte Carl Philipp Emanuel-CD gewesen ist.

Granatiero ist schon ein alter Hase in der Alte-Musik-Szene. Vor 20 Jahren hat er in Rom die Accademia Ottoboni mitgegründet. Und er hat seitdem auch bei Konzerten und Aufnahmen anderer bekannter Ensembles mitgewirkt, etwa bei Gli Incogniti oder Les Talens Lyriques. Für das erste Album, auf dem er selbst ganz im Mittelpunkt steht, hat er Freunde von der Accademia Ottoboni hinzugenommen: den Cellisten Marco Ceccato und die Cembalistin Yu Yashima.

"Man muss sich um jeden Preis selbst darstellen und die Sozialen Medien sind fast wichtiger als tatsächliches Talent."

Manuel Granatiero

Unbehagen

Mit denen versteht er sich blind. "Wenn wir proben, sprechen wir kaum, denn wir erkennen schon beim Spielen, was jeder will", erklärt er. Dass es so lange dauerte, bis er mit nun 46 Jahren ein Solo-Album veröffentlichte, liegt auch an seiner Skepsis gegenüber der heutigen Musikwelt. "Man muss sich um jeden Preis selbst darstellen und die Sozialen Medien sind fast wichtiger als tatsächliches Talent." Schließlich ließ er sich von seinen Freunden aber doch überzeugen, eine Solo-CD aufzunehmen. Für dieses Projekt kam für ihn dann nur ein Komponist infrage, dessen Musik er schon lange spielt, der "Berliner Bach".

Flöten-Hotspot

Carl Philipp Emanuel, der zweitälteste Sohn von Johann Sebastian Bach, kam mit 24 Jahren als Cembalist an den Hof des Kronprinzen Friedrich und blieb auch in dessen Diensten, als er wenig später zum König Friedrich II. aufstieg. Im Umfeld des Flöte spielenden Herrschers muss es zahlreiche exzellente Flötisten gegeben haben, Berufsmusiker ebenso wie ambitionierte Amateure aus Adel und Bürgertum. "Daher konnte er es sich leisten, alle technischen Möglichkeiten auszureizen, die das Instrument ihm bot", findet Manuel Granatiero.

Neue Welt

Der Musiker ist ein großer Fan der Musik von Carl Philipp Emanuel. "Am meisten fasziniert mich bei ihm die Verbindung zwischen Leichtigkeit und Tiefe. Seine Flötensonaten entwickeln sich sehr klar und schlicht, aber gelegentlich gibt es kurze poetische Einschübe und etwas Tiefsinniges tritt hervor – oder sogar etwas Geheimnisvolles."

Die Werke des Bach-Sohnes spielen für Granatiero eine bedeutende Rolle in der Musikgeschichte: "Ich habe das Gefühl, dass die Musik bei ihm erstmals der Ausdruck der inneren Welt des Komponisten war. Damit hat er die Grundlage für das gelegt, was viele Jahre später in der Romantik geschah." Der generelle Eindruck, den diese Musik auf ihn macht, hat Granatiero zum Titel des Albums animiert, "Light and Darkness", Licht und Dunkelheit.

Herausfordernd

Auch wenn seiner Flöten-Kammermusik der oft bizarre "Sturm und Drang"-Stil vieler seiner Sinfonien abgeht, so wäre sie mit der Kategorisierung "galant" falsch etikettiert, meint Granatiero. "Der galante Stil war so eine Art Weltflucht-Musik. Carl Philipp Emanuel hingegen drückte in seinen Stücken Intimität aus und eine Vielzahl von Affekten und Farben, melodisch wie harmonisch." Sie waren auch technisch für den Traversflötisten sehr herausfordernd, ganz besonders das zentrale Werk des Albums.

Ganz allein

Aus Carl Philipp Emanuels Flötenwerken sticht eines heraus: seine einzige Sonate für unbegleitete Flöte. Sie zählt zu den Schätzen des Repertoires der Flötisten und Manuel Granatiero vergleicht sie mit der ebenfalls in a-Moll notierten Partita für Flöte solo von Johann Sebastian Bach. Das Werk verlangt dem Ausführenden auch interpretatorisch alles ab, berichtet Granatiero: "Das war etwa so wie einen Theatermonolog vorzubereiten. Man muss verschiedene Situationen beschreiben, verschiedene Charaktere mit seiner Stimme darstellen und die unterschiedlichsten Gefühle ausdrücken."

Passgenau

Für diese Sonate hat Manuel Granatiero extra ein neues Instrument erworben, den Nachbau einer Flöte von Johann Joachim Quantz, denn in jeder Komposition sollte das perfekt dazu passende Instrument erklingen. Im Gegensatz zu seinen drei anderen Traversflöten für die vier restlichen Werke ist die Quantz-Flöte nicht in 415, sondern tiefer in 392 Hertz gestimmt. Anders als die restlichen, aus Buchsbaum gefertigten Instrumente, besteht sie aus Ebenholz und besitzt im Vergleich zu ihnen einen größeren Klang mit einem voluminöseren tiefen Register.

Wunderbarer Ton

Manuel Granatiero vermag es, die klanglichen Möglichkeiten jedes Instruments wunderbar zu nutzen. In der exzellenten, nicht halligen Akustik einer kleinen Dorfkirche in der Region Latium aufgenommen, produziert er von Anfang bis Ende einen warmen und eleganten Ton. Nie hören sich die historischen Flöten schrill oder schneidend an. Zudem klingt sein Spiel – von Ceccato und Yashima aufmerksam und sensibel begleitet – zugleich eindringlich und entspannt, mit angenehmen Tempi und ohne jede Effekthascherei. Selbst seine Atemgeräusche sind kaum zu vernehmen.

Das Album verführt zum "gechillten" Hören – und ehe man sich versieht, sind 65 Minuten fabelhaften Musizierens vorüber.

Rainer Baumgärtner, rbbKultur