Jaromír Weinberger: Klavierwerke © Grand Piano
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Album der Woche | 28.11. - 04.12.2022 - Jaromír Weinberger: Klavierwerke

Welches Wunderkind wird nicht mit Mozart verglichen? Felix Mendelssohn-Bartholdy erlebte das, aber auch Jaromír Weinberger. Seine vielversprechende Karriere wurde allerdings durch den Nationalsozialismus so zerrüttet, dass der Name heute keine Präsenz mehr hat. Um dieses Talent wieder erfahrbar zu machen, hat Gottlieb Wallisch Klavierstücke des jungen Jaromír Weinberger eingespielt.

Die Foxtrott- und Tanz-Hefte sind schuld. Gottlieb Wallisch liebt diese Musik der 20er Jahre und mit seinem Entdecker-Spürsinn hat er in diesem Bereich viel zusammengetragen. So kam der Erstkontakt via Druckerschwärze zustande.

Zufallsfund

"Ich stieß auf einen kleinen Shimmy, einen Jazz-angehauchten Tanz von Weinberger aus dem Jahr 1922. Da kam mir der Name Weinberger das erste Mal unter. Und mir gefiehlt diese Musik ganz gut. Und dann habe ich gesehen, dass er ein sehr vergessener Komponist ist. Vor kurzem erst wurden von einem amerikanischen Musiker in Prag viele Noten auf dem Dachboden gefunden. Derjenige hat die Noten gerettet und viele Manuskripte von Weinberger wieder zugänglich gemacht und in seinem eigenen Verlag auch gedruckt und veröffentlicht.“

Die nächste Spur, die Wallisch aufnehmen konnte, war die namhafte Universal Edition in Wien. Hier durfte Weinberger veröffentlichen. Im Archiv des Institutes konnte der Pianist noch mehr Material ausfindig machen.

Wunderkind mit kurzer Karriere

Opernfreaks ist Jaromír Weinbergers zweite Oper "Schwanda, der Dudelsackpfeifer" bekannt. Mit ihr schaffte er auch den Durchbruch.

Mit seiner Zwillingsschwester wurde er 1896 in einem Prager Vorort geboren, mit einem Riesen-Musiktalent, das ihn vor dem Militärdienst im Ersten Weltkrieg schützte und ihn nach Leipzig zum Studium von Max Reger brachte. Danach komponierte er für die Prager Theater, unterrichtete.

Dann kam der "Wahnsinn der Nazizeit", wie Gottlieb Wallisch sagt. "Weinberger musste Europa wieder verlassen. Ich sage 'wieder', weil Weinberger das Schicksal hatte, dass er zweimal in seinem Leben nach Amerika gegangen ist: Einmal, als ganz junger Mann, ist er 1921 nach Amerika gegangen, aber aus freien Stücken. Er hatte einen Lehrauftrag in Ithaka an der Universität und hat ein Jahr dort gelehrt. Dann hat es ihn wieder zurückgezogen nach Prag, wo er dann an der Oper gearbeitet hat, ein freischaffender Komponist war. Und ein zweites Mal musste er dann nach der Machtübernahme der Nazis nach Amerika, als wirklich über Nacht seine Stücke auch verboten wurden."

Dort konnte er an die alten Erfolge nicht mehr anknüpfen. 1967 nahm er sich dort das Leben. Die Wunderkind-Karriere wurde im besten Alter erstickt.

Gottlieb Wallsich, Pianist © Uwe Noelke
Bild: Uwe Noelke

Klavier als Startrampe

Seine ersten Jahre waren vor allem von der Klaviermusik geprägt. Daher sind alle Werke des Albums frühe. Und sie beweisen das Talent von Weinberger - und seine Spielfähigkeiten, denn das, was er da aufs Papier brachte mit 19, 20, 21 Jahren, ist zum Teil hoch virtuos.

Daneben stellt Wallisch den Komponisten mit einem eher atmosphärischen Stück vor: "Ich finde, die Sarabande, die die CD eröffnet, ist ihren Harmonien schon sehr kühn. Und sie steht in gis-Moll! Das ist eine ganz seltene Tonart, die eine spezielle Stimmung erzeugt, die er mit 20 Jahren komponiert, mitten im Ersten Weltkrieg 1916. Das ist vielleicht auch der Grund, warum dieses Stück am Anfang der CD steht. Es soll ein sehr persönlicher Einstieg in diese Musik sein."

Musik zwischen Beethoven und Debussy

Viel Atmosphäre in kürzester Zeit "anknipsen", das ist Weinbergers großes Talent. Seine Musik changiert zwischen der klassischer Strenge dem Hang nach impressionistischen Farben. Eine wirklich außergewöhnliche Mischung, die man auf diesem Album Stück für Stück erleben kann.

Auch die beiden frühen Sonaten, Nummer zwei und drei, sind eingespielt. Sie sind echte Alternativen, wenn man satt ist von Beethoven und Debussy. Wallisch zeigt dabei, welch hervorragender Pianist er ist. Denn sein Spiel bringt zum einen die sinfonische Dichte, das Gewicht, der Musik zum Vorschein - und doch ist die Balance zu den feinen Nuancen immer da.

Gut, dass er Weinberger "getroffen" hat. Und umgedreht: Was für ein Glück für Jaromír Weinberger, dass er ausgerechnet von Gottlieb Wallisch entdeckt wurde!

Cornelia de Reese, rbbKultur