Deutsches Theater - "Der Steppenwolf" von Lilja Rupprecht
Lilja Rupprecht ist auf dem besten Weg, in die erste Liga des deutschsprachigen Regie-Theaters aufzusteigen. Ihre Inszenierungen sorgen immer für Aufsehen und Diskussionen. Nach "Antigone" und "Ode" inszeniert sie jetzt bereits zum dritten Mal am Deutschen Theater in Berlin. Diesmal hat sie sich Hermann Hesses Kult-Roman "Der Steppenwolf" vorgenommen, der 1927 erschien und den Weltruhm des späteren Literaturnobelpreis-trägers begründete.
Für die Theater-Version des Romans sorgt Roman- und Bühnen-Autor Thomas Melle, der in einem seiner Bücher ("Die Welt im Rücken") seine eigene bipolare Störung thematisiert hat und bereits mehrfach mit der Regisseurin erfolgreich zusammengearbeitet hat. Der Roman wurde in den 1960er/70er Jahren zum Kultbuch der Hippie-Bewegung und hat eine internationale Renaissance des Autors ausgelöst. Hesse und sein "Steppenwolf" Harry Haller sind für Lilja Rupprecht Brüder im Geiste und Boten einer Welt, die von Krieg und Chaos geprägt ist und dem Künstler Aufgaben stellt, an denen er letztlich scheitern muß.
Sinnbild für Einsamkeit und Außenseitertum
Die Metapher vom "Steppenwolf" steht für Einsamkeit und Außenseitertum des Künstlers, der am Rande der bürgerlichen Gesellschaft ist, der Unterwerfung unter Autoritäten und spießige Selbstzufriedenheit hasst - und sich doch insgeheim nach heimeligen Verhältnissen und gemütlicher Gemeinschaft sehnt. Der "Steppenwolf" suhlt sich in seiner Rolle als elitäres Genie und gnadenloser Kritiker, sucht nach dem großen Kick, der erotischen Ekstase und spirituellen Erleuchtung: Harry Haller kokettiert mit Selbstmord-Fantasien, wähnt sich einzigartig und muss sich von einem "Traktat", das ihm zufällig in die Hände fällt und von ihm, dem selbstgefälligen "Steppenwolf" handelt, belehren lassen, dass niemals nur zwei Seelen in der Brust des wütenden Künstlers wohnen, sondern hunderte, wenn nicht gar tausende.
Im Künstler spiegeln sich die Krisen und Katastrophen wie in einem Brennglas, er gehört, wie der fiktive Herausgeber von "Harry Hallers Aufzeichnungen" im Roman sagt, "zu denen, die zwischen zwei Zeiten hineingeraten, die aus aller Geborgenheit und Unschuld herausgefallen sind, zu denen, deren Schicksal es ist, alle Fragwürdigkeit des Menschenlebens gesteigert als persönliche Qual und Hölle zu erleben."
Neuerfindung: Der "Steppenwolf" im Techno-Club
Thomas Melle hat für seine Bühnen-Fassung alles neu erfunden: Die verschlungene Handlung, die literarische Raffinesse des Romans, mit dem Hesse die eigene existenzielle Krise - Selbsthass, Todessehnsucht, Trennung von seiner Ehefrau - thematisiert und bewältigt, wird in eine banal-postmoderne Unübersichtlichkeit transferiert, in eine Welt, die nur noch aus Ekstase und Exzess, Pessimismus und Depression besteht.
Harry Haller hat keine Lust auf einen neuen "Normalotag", fühlt sich "strange", will kein "Loser" sein, möchte ein "Splatter Movie" drehen. Hermine will "happy" sein, "tanzen und ficken". Maria singt gern schräg und ätzt laut: "Halt die Fresse, Hesse." Während Hesses "Steppenwolf" sich bei Musik von Mozart und Händel entspannt, muss er jetzt in einen Techno-Club und zu computergesteuerten Beats und wummernden Bässen abgehackte Gymnastik betreiben. Einmal verliert er sich in einer Hass-Predigt gegen den Jazz, zitiert Adorno und dessen Verdikt gegen den musikalischen Faschismus herbei.
Was soll das Ganze?
Was das soll? Keine Ahnung. Wahrscheinlich weiß es auch Harry Haller in seiner lächerlichen Wolfs-Maske nicht, für den "alles so fucking unbeschwert" ist in dieser grellen, überkandidelten Theater-Orgie, die in einer blutrünstigen Fantasie endet: Während Hesses Harry Haller im Labyrinth des "Magischen Theaters" sich nur einbildet, ein "gespiegeltes Mädchen mit einem gespiegelten Messer totgestochen" zu haben und dann wegen Beleidigung der Kunst, Humorlosigkeit und Selbstmordgedanken "zur Strafe des ewigen Lebens und zum zwölfstündigen Entzug der Eintrittskarte" verurteilt wird, fantasiert er sich jetzt in einen Blutrausch hinein, malt sich genüsslich aus, wie er alles und jeden zerstückelt und in Blut badet: Der einsame Steppenwolf mutiert zum Ritual-Mörder Charles Manson.
Permanente Beobachtung von der Live-Kamera
Jeder Akteur darf mal in die Rolle und das Kostüm vom Steppenwolf schlüpfen, auch der Live-Musiker, der mit verschiedenen Instrumenten Dauergast auf der Bühne ist und Noten-Teppiche webt. Manchmal geistern mehrere Steppenwölfe in grauen Anzügen über die Bretterbuden-Bühne, manchmal liegt nur ein einziger Harry Haller in seiner klapprigen Baumhütte und philosophiert müde vor sich hin, oder er besucht seinen alten Professor und dessen Gattin, die in einem hölzernen Vogelnest hausen und sich mit ihren Ernie- und Bert-Masken aus der Sesamstraße auf die Bühne verirrt haben. Manchmal schaut einer der Steppenwölfe auch bei Hermine vorbei, die nicht mehr im Bordell arbeitet, sondern jetzt einen Kiosk führt, Magazine und Drinks verkauft, vor allem aber - wir sagten es bereits - gern "tanzt und fickt".
Alles, was auf, vor oder hinter der sich permanent drehenden Bretterbude geschieht, ob Harry als vielstimmiger Chor Sprech-Salven heraus donnert oder im Glitzer-Jackett den Entertainer mimt: Alles wird von einer Live-Kamera beobachtet und auf Video-Wände projiziert. Wer eine billige Raubkopie einer alten Castorf-Inszenierung sehen will, kommt hier voll auf seine Kosten.
Gute Absichten führen selten zu guten Ergebnissen
Schauspieler:innen vom RambaZamba Theater (einem Ensemble für Künstler:innen mit Behinderung) stehen mit Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Theaters auf der Bühne. Es funktioniert leidlich, hakt aber auch immer mal wieder. Die Akteure vom DT (Elias Arens, Manuel Harder, Helmut Mooshammer, Natali Seelig, Katrin Wichmann) nehmen sich zurück, achten darauf, die beiden RambaZamba-Mitspieler:innen (Juliana Götze und Jonas Sippel) nicht bloßzustellen oder lächerlich zu machen.
Aber ehrlicherweise muss man auch sagen, dass die beiden behinderten Künstler:innen nur Staffage sind, wenig eigenen Text haben und keine Solo-Nummern (wie z. B. Helmut Mooshammer mit seiner überdrehten Adorno-Persiflage oder Katrin Wichmann als lüstern-lasziver Freigeist). Der theatralische Grund und der dramaturgische Mehrwert der Schauspiel-Kooperation will sich mir nicht erschließen. Ich finde es ein bisschen grenzwertig, Behinderten dabei zuzuschauen, wie sie - anders als die DT-Profis - manchmal ihren Text vergessen und quälende Sekunden nach den passenden Worten suchen, oder wie sie als Running Gag und wandelndes Werbeplakat mehrfach über die Bühne geschickt werden, um mit dem von Hesse & Haller geprägten Slogan "Nur für Verrückte" für das "Magische Theater" zu werben.
Wahrscheinlich soll das witzig und entlarvend sein, uns mit unseren Vorurteilen konfrontieren: Aber gute Absichten führen leider nur selten zu guten Ergebnissen.
Frank Dietschreit, rbbKultur