Kriegsalltag in Kyjiw | rbbkultur-REIHE -
Die ukrainische Schriftstellerin und Künstlerin Yevgenia Belorusets sendet jeden Tag eine Nachricht aus Kyjiw an rbb Kultur, in der sie davon erzählt, wie sie den Krieg erlebt.
Ein langer Lockdown in Kyjiw. Sehr viele Menschen verbringen die Zeit in ihren Wohnungen. Noch mehr Menschen versuchen in dem Schutzbunker zu schlafen, um Schutz zu bekommen, um zu denken, dass ihnen wenigstens in dieser Nacht nichts drohen wird. Außerdem gibt es in den Schutzbunkern so viele Menschen, dass ich denke, dass man dort automatisch viel weniger Sorgen und Angst hat. Man denkt, zusammen kann man den Gefahren doch widerstehen oder eine eigene Realität schaffen. Ich weiß, dass man sich in der Kyjiwer U-Bahn Filme anschaut - zum Beispiel Filme mit Marilyn Monroe. Davon erzählen mir meine Freunde. Ich bin aber in meiner Wohnung und dadurch spüre und weiß ich viel mehr, was in der Stadt passiert.
Heute wurde Kyjiw wieder beschossen - und anscheinend teilweise erfolgreich. Zuerst kamen gar keine Nachrichten - dann, einige Stunden später, wurde klar, dass wieder ein Bezirk mit Wohnhäusern getroffen wurde. Die Anzahl der Opfer ist noch unklar, sie wird immer wieder geklärt.
Jetzt versuche ich meinen Tagebucheintrag zu schreiben. Ich finde aber keine Worte. Ich sehe die Bilder von den Beschüssen. Ich weiß, dass gerade jetzt irgendwo in Kyjiw ein Beschuss stattfindet. Aber ich höre nichts. Nur mein Bruder hört etwas und schreibt mir darüber Nachrichten. Er sagt, in Kyjiw findet etwas Schlimmes statt. Aus Sicherheitsgründen wird darum gebeten, keine Videos sofort nach den Beschüssen zu posten. Eine Videoaufnahme kann helfen, die Wohnhäuser besser zu erreichen. Um noch mehr zu zerstören.
Es ist immer noch sehr schwer, sich vorzustellen, dass dieser Krieg möglich ist. Dass diese Zerstörungen und Verbrechen passieren. Man kann aber noch sehr vieles retten. Etwas, das zerstört ist, ist für immer nicht mehr da. Aber etwas, das gerettet werden kann, wird bleiben und weiterleben. Ich glaube, die Welt kann noch immer sehr vieles retten und am Leben erhalten. Und in diesem Moment möchte ich glauben, dass es noch nicht zu spät ist, dass wir dringend noch etwas tun können.