Kyjiw im Krieg: Aleksey (18) mit dem Welpen Namens Dreik; © Yevgenia Belorusets
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Kriegsalltag in Kyjiw | rbbkultur-REIHE - Nachricht von Yevgenia: Die eigene Wohnung

Die ukrainische Schriftstellerin und Künstlerin Yevgenia Belorusets sendet jeden Tag eine Nachricht aus Kyjiw an rbb Kultur, in der sie davon erzählt, wie sie den Krieg erlebt.

Manchmal sieht die eigene Wohnung wie ein Labyrinth aus, durch das man wandert und nach einem Ort sucht, wo man sich schützen oder sich geschützt fühlen kann. Oft ist es ein Korridor und einige schlafen in den Korridoren ihrer Wohnungen.

Es gibt eine Regel der zwei Wände: Wenn man zwischen diesen zwei Wänden schläft, gibt es eine Sicherheit oder wenigstens die Hoffnung, dass man eine Raketenattacke überleben kann. Manchmal sehe und spüre ich selbst, dass ich an bestimmten Orten in meiner Wohnung keine Ruhe mehr finde und nach einem einem sicheren Ort suche: Ich wechsle die Schreibtische, die Arbeitsorte - als ob eine bestimmte Ecke oder eine bestimmte Stelle hilft, rettet oder Ruhe bringt.

Ein gleiches Gefühl kann man auch in der Stadt bekommen. Wenn man über große, offene Plätze läuft, fühlt man sich weniger geschützt. Ich denke, dieses Gefühl auf der Ebene des Körpers habe ich erst vor kurzem bekommen. Sehr lange Zeit hat es mich zu selten besucht. Und vor kurzem, als ich die großen Verletzungen der Stadt gesehen habe, bekam ich mehr und mehr dieses Gefühl der Angst und der Unruhe - in der eigenen Wohnung und in der Stadt.

In den letzten Tagen sehe fast jeden Morgen die Bilder: Männer und Frauen stehen vor den Häusern, sehr oft sind es Menschen, die mit kleinen Tieren aus einem Haus weggerannt sind, das vorher durch einen Raketeneinschlag zerstört wurde. Und sogar in solchen Momenten versuchen die Menschen Tiere zu retten - jemanden zu retten, der neben ihnen ist und vielleicht eine riesige Hilfe braucht. Ich denke, diese Bilder haben eine sehr starke Wirkung auf mich. Weil ich denke, es sind die Menschen, die neben mir sind, die mir so nahe sind in meiner eigenen Stadt.

Eine alte Bekannte meiner Mutter, eine Schauspielerin vom Molodyi Jugendtheater, die gar nicht mehr so jung war, hat ihren Sohn vor zwei Tagen angerufen und ihn gebeten, bei ihr zu übernachten. Gerade in dieser Nacht wurde ihre Wohnung angegriffen. Sie kam ums Leben und ihr Sohn überlebte die Attacke. Sie wollte nicht allein übernachten und hoffte, mit ihrem Sohn würde sie sich sicher fühlen. Und so haben sie sich zum letzten Mal gesehen.

Ich hoffe sehr stark, dass die Welt bald eine Lösung findet und dass ich schon morgen ich in meiner eigenen Wohnung mit größerer Sicherheit einschlafen kann – und andere Kyjiwer auch.

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