Kriegsalltag in Kyjiw | rbbkultur-REIHE -
Die ukrainische Schriftstellerin und Künstlerin Yevgenia Belorusets sendet jeden Tag eine Nachricht aus Kyjiw an rbb Kultur, in der sie davon erzählt, wie sie den Krieg erlebt.
Heute gegen sechs Uhr abends ging ich nach einem Treffen mit einem alten, alten Freund, der zurück nach Kyjiw gekommen ist, nach Hause zurück. Ich ging durch den Skulpturenpark, durch einen Ort mit einer großen und schönen Aussicht, vorbei am Historischen Museum. Ich wollte wieder Kyjiw sehen, ich wollte wieder das linke Ufer von Kyjiw sehen. Orte, wo ich schon seit Beginn des Krieges nicht mehr war, die ich so lange nicht mehr besucht habe.
Und dann sah ich plötzlich, wie sich die rötliche Dämmerung verfärbte - in Violett und Grau. Ich habe selbst gesehen, wie ein Wohnbezirk von Kyjiw getroffen wurde – von einer Rakete anscheinend. Alle Menschen, die in diesem Park in diesem Moment waren – fast immer Menschen mit Kindern oder Menschen, die mit Hunden spazieren gingen - waren erschrocken. Es gab keinen Luftalarm in diesem Moment. Es bedeutet, dass niemand in der Stadt wusste, dass die Beschüsse überhaupt möglich sind. Und ich dachte: Vielleicht ist niemand ums Leben gekommen. Vielleicht irre ich mich. Vielleicht ist das kein Beschuss. Wir alle, alle Passanten, die in diesem Moment auf der Straße waren, haben begonnen, in die Telefone zu schauen, einander zu fragen: was passiert, was ist los? Es gab keine Nachrichten. Und dann verabschiedeten wir uns ganz schnell und ich lief nach Hause.
Zu Hause erfahre ich, dass ein Bezirk in Kyjiw betroffen war - Häuser, dass Menschen ums Leben gekommen sind. Dass Menschen verletzt wurden - ohne Warnung, ohne Vorwarnung. Alle waren zu Hause.
So läuft dieser Krieg. Es ist sehr seltsam, ein Augenzeuge von so einem Verbrechen zu sein. Ein Augenzeuge von diesen Veränderungen am Himmel, Veränderungen in der Landschaft zu werden und zu verstehen, dass du als Person, als Mensch, so wenig dagegen machen kannst, es wirklich nicht verhindern kannst. Es ist eine seltsame Entdeckung, diese direkte Anwesenheit bei all diesen Ereignissen - wenn du sie siehst, von weit her.
Ich hoffe, wir werden das doch überwinden. Ich hoffe irgendwie, dass Europa, dass die Welt einen Weg findet, dass das sehr bald aufhört und nicht mehr möglich sein wird.