HAU - Hebbel am Ufer - Nature Theater of Oklahoma: "Burt Turrido: An Opera"
Banales, fast schon Peinliches, das dann aber doch einem strikten Konzept folgt und am Ende vor allem unterhaltsam ist - dafür steht die Theatertruppe "Nature Theater of Oklahoma". Seit vielen Jahren haben die New Yorker am HAU - Hebbel am Ufer ihre Berliner Basis. Jetzt sind sie dort mit ihrer spektakulären Wildwest-Performance "Burt Turrido: An Opera" zu erleben.
Nach klassischer Oper klingt das nun wirklich nicht, was hier zu Beginn zu hören ist. Eher nach Gespenstern, die zu Country-Pop heulen ...
Eher gespenstischer Country-Pop als Oper ...
Und genau so ist es: Auf der herzigen altmodischen Papp-Bühne stehen drei Menschen mit Bettlaken über den Köpfen. Sie trippeln im Takt über einen blauglitzernden Stoffteppich, während hinter ihnen an der Rudermaschine jemand Papp-Wellen von rechts nach links bewegt. Im Wasser, also: auf dem Teppich, schlägt derweil ein Mann mit dichtem Backenbart und Regenhut mechanisch mit den Armen um sich als sei es eine Choreografie.
Andererseits ertrinkt dieser namenlose Fremde gerade. Emily, die jüngste Geisterfrau, rettet ihn – und verliebt sich Hals über Kopf. Sie bringt ihn an Land der letzten noch bewohnbaren Insel und ringt ihm das Versprechen ab, sie nachts am Meer zu treffen. Was er natürlich nicht hält und dafür am Ende mit dem Leben bezahlt. Einst hieß diese Insel Grönland, doch da war sie noch grün und fruchtbar. Dann kamen Hitze, Dürre und immer mehr Klima-Flüchtlinge. Krieg, Genozid und ein despotisches Königspaar folgten. Seitdem heißt die Insel Banana-Kingdom, eine Bananen-Republik.
All das erfahren wir von Joseph, einem Cowboy in Hot-Pants, der in Lederstiefeln federleichte Line-Dances hinlegt, denen man ewig zusehen könnte. Joseph hat nur deshalb überlebt, weil er Queen Karens Geliebter ist. Und auch der Fremde darf vorerst als Sklave bleiben. Der devote König Bob gibt ihm seinen Namen: Burt Turrido.
Western-Persiflage mit Vorlagen aus allen Richtungen
Und das ist erst der Anfang dieser Western-Persiflage, die den alltäglichen Herz-Schmerz in der Country-Musik mit den großen Gefühlen der Oper verschränkt und ironisiert. Ehe-Krise, Kinderwunsch, Mord aus Liebe, Betrug, Verrat – all diese Dramen spielen sich im fliegenden Wechsel zwischen King Bob, Queen Karen, Burt Turrido, Emily und Joseph ab, der sich als Emilys Ehemann und Mörder entpuppt. Kein Wunder, dass die irgendwann die Schnauze voll hat von den Männern und mit Blitz und Donner auf Rache sinnt.
Kadence Neill singt mit fantastischer Klarheit und Country-Süße, wie es sich gehört. Wer oder was dieser Burt Turrido ist, bleibt allerdings auch ihrer Emily ein Rätsel. Die Hinweise reichen von Klabautermann über Alien hin zu Gott selbst, der der Queen zur unbefleckten Empfängnis verhilft. Die Vorlagen kommen aus allen Richtungen: Der Undine-Mythos wird zitiert, der Fliegende Holländer, Shakespeares "Sturm", aber auch E.T. und die biblische Schöpfungsgeschichte.
Philosophische Gedanken hinter lustigem Trash
Wer dem Abend allein auf der bewusst dilettantischen, komischen Oberfläche folgt, dem wird viel Gelassenheit und Geduld abverlangt: Viel Stunden lang tröpfelt die Musik unaufgeregt vor sich hin, folgt ein absurdes Eifersuchtsdrama aufs andere, bis am Ende ein gigantischer Narwal auf dem Esstisch liegt und Burt Turrido tot im Meer.
Blickt man aber hinter den lustigen Trash und die bemalten Stoff-Fassaden, ist es durchaus reizvoll, den philosophischen Gedanken der Inszenierung nachzugehen, die viel deutlicher ins Spirituelle und Existenzielle verweisen als frühere politischere Arbeiten des Nature Theater of Oklahoma. Die New Yorker Avantgarde-Theatergruppe (benannt nach dem mysteriösen Theater in Franz Kafkas Roman "Amerika") gibt es seit über 25 Jahren. Immer wieder demontiert die Gruppe, angeführt von Kelly Copper und Pavol Liska, alles, was ihr im Theater zu konventionell erscheint.
Diesmal fragen sie: Was, wenn der Mensch lernunfähig ist und beim nächsten Versuch mit der Erde dieselben Fehler macht? Was, wenn nicht mal Gott es uns Recht machen kann? Was, wenn nach dem Tod überhaupt nichts besser wird? Auch der Tod ist keine Rettung, sing das Gespenst Emily in dieser skurrilen Apokalypse-Show. Und ein Geist muss es schließlich wissen.
Barbara Behrendt, rbbKultur