Deutsches Theater: Die Kronprätendenten © Arno Declair
Arno Declair
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Deutsches Theater - "Die Kronprätendenten"

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Auch wenn es bei seiner Uraufführung 1864 ein großer Erfolg war, ist das Historiendrama "Die Kronprätendenten" von Henrik Ibsen heute nur noch Wenigen bekannt. Es geht darin um Königskämpfe im mittelalterlichen Norwegen mit zahlreichen Figuren und vielen Nebenhandlungen. Das Deutsche Theater in Berlin hat nun versucht, den Stoff zu straffen und daraus ein gradliniges und vergnügliches Stück zu machen.

Deutsches Theater: Die Kronprätendenten © Arno Declair
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"Peer Gynt" und "Die Wildente", "Ein Volksfeind", "Hedda Gabler" und "Stützen der Gesellschaft": die Liste der Bühnen-Klassiker von Henrik Ibsen, mit denen der norwegische Autor die moderne Dramatik revolutionierte, ist lang. Doch wer hat je von "Die Kronprätendenten" gehört und auf einer bundesdeutschen Bühne eine Inszenierung des 1864 in Oslo uraufgeführten Stückes gesehen? Diese Bildungslücke wird jetzt in den Kammerspielen des Deutschen Theaters geschlossen. Denn Regisseurin Sarah Kurze hat das fast vergessene Ibsen-Stück ausgegraben und im Rahmen des Spiel-Formats "Limited Edition" aufgeführt.

Alles ist limitiert, begrenzt, reduziert: Mittel und Möglichkeiten, Anzahl der Schauspieler, Proben-Zeit, Bühnenbild, alles eingedampft auf wenige Dinge, auf den Kern des Stückes, die zeitlos aktuelle Botschaft des Dramas, das neu umkreist und betrachtet und auf seine Bedeutung und Relevanz abgeklopft wird. Für junge Theaterleute eine gute Möglichkeit, sich zu präsentieren und für höhere Aufgaben zu empfehlen: in diesem Falle ist es die junge Regisseurin Sarah Kurze, die zusammen mit arrivierten Darstellern arbeiten und sich zeigen kann. Weil das Ganze auch schief gehen kann und einen improvisierten Charakter hat, sind nur wenige Aufführungsdaten für die Inszenierungen der "Limited Edition" vorgesehen. Wer sie sehen will, muss sich also sputen

Drama über Mythen und Märchen

Das ausufernde Drama über Mythen und Märchen aus der norwegischen Geschichte wird radikal mit dem Rotstift bearbeitet. Der Kampf verfeindeter Könige um Macht und Krone und Einigung der miteinander im Dauerclinch liegenden Stämme im zerrütteten, von Bürgerkriegen heimgesuchten Norwegen des 13. Jahrhunderts hat bei Ibsen 5 Akte, unzählige Personen, Kronprätendenten, Kirchenfürsten, Stammesführer, Söhne und Töchter, die aus Staatsräson verheiratet werden, Ärzte, Mönche, einfaches Volk. Übrig geblieben sind nur ein paar Szenen und nur drei Schauspieler, die in Windeseile ihre Rollen und Kostüme, ihre Spiel- und Sprechweise wechseln: Lorena Handschin, Natali Seelig und Elias Arens.

Lorena Handschin mimt mit süffisantem Grinsen und scharfem Intellekt einen Hakon Hakonsson, der vom Stamm der Birkebeiner zum neuen König gewählt wird und in modisch hellem Outfit leichtfüßig durchs politische Unterholz tänzelt. Natali Seelig grummelt und zieht mit fettigen langen Haaren und kack-braunem Anzug als Jarl Skule Bardsson eine verärgerte Flunsch. Der Dauer-Rivale um die Macht beherrscht ein Drittel des Landes. Er hat eine Tochter, die Hakon Hakonsson heiraten soll, um die beiden Machtansprüche miteinander zu versöhnen. Doch die Tochter ist, wie so vieles, dem Rotstift zum Opfer gefallen, sie wird nur kurz erwähnt und verschwindet dann im Orkus des Vergessens. Elias Arens schleicht hinterhältig durchs Getümmel und gibt den bösen Intriganten und mephistophelischen Verführer. Eigentlich sollte er als Bischof Nikolas Arnesson eher für Frieden und Gottesfurcht stehen, doch er sät lieber Hass, sorgt mit gezielten Lügen für Neid, erinnert an gebrochene Versprechen, verschwundene Briefe, verlorene Söhne, die man finden und auf den Thron bringen müsste.

Deutsches Theater: Die Kronprätendenten © Arno Declair
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Rasender Stillstand

Solange die drei sich gegenseitig in diesen fest umrissenen Rollen wortreich bekriegen, kann man - auch ohne Kenntnis des Stückes und der historischen Verwicklungen - dem rhetorischen Scharmützel gut folgen: Doch irgendwann schlüpfen die drei in immer neue Figuren, stolpern manchmal nur für Momente mit ausgeleierten Pullis und bunten Perücken durchs Geschehen und verwandeln die bitterböse Sezierung verworrener Machtstrukturen langsam aber sicher in Tumult und Klamauk, Tohuwabohu und Parodie: Kann man so machen, muss man aber nicht.

Die Bühnenlandschaft ist übersichtlich und einfach und zugleich vieldeutig und rätselhaft: Denn es gibt kein Bühnenbild, keine Requisiten, nur eine leere Spielfläche und nackte Wände. Das Publikum ist Teil der Inszenierung, rückt ganz nahe ans Geschehen heran, wird durch einen Seitengang auf die Bühne geführt. Die Stuhlreihen sind auf die Drehbühne platziert, die oft rotiert, sich vor und zurück, hin und her dreht: so blicken wir immer genau dahin, wo die Figuren gerade ihre Fehden und Feindschaften austragen, und wenn sie mal nur grübeln und ihre nächsten Schritte erwägen, drehen auch wir uns mit, machen ein Schritt vor und zwei wieder zurück. Wenn die Akteure auf Leitern unter den Bühnenhimmel klettern und in halsbrecherischer Höhe zwischen Scheinwerfern herumturnen, wenn sie durch irgendeine Tür verschwinden und als jemand anderes wieder an einer anderen Stelle hereinkommen, drehen wir uns mit. Das sanfte Bühnengeschaukel ist neckisch und lustig, aber auch ziemlich sinnlos und täuscht Handlung und Hektik vor, wo manchmal nur rasender Stillstand ist.

Trotz aller Einwände: eine lohnende Wieder-Entdeckung

In „Die Kronprätendenten“ werden zeitlos aktuelle Probleme seziert: der Einfluss von Gefühlen auf politisches Handeln, der Konflikt der Generationen, die Rolle zwielichtiger Interessen und gezielter Lügen bei der Willensbildung, die egozentrische Sucht nach Machtfülle, die über Leichen geht. Ein bisschen weniger Klamauk und Tumult wäre angemessener gewesen: Ibsens Sprache und Denken zielt nicht auf billigen Humor, sondern auf analytische Schärfe, war im historischen Kontext der Entstehung des Dramas politisch gewagt und provokativ: Denn Norwegen stand lange unter dänischer Herrschaft, die Hauptstadt hatte den dänischen Namen Christiania, nicht Oslo.

Die Rückbesinnung Ibsens auf eine Zeit, in der die norwegischen Stämme ihre Streitigkeiten überwanden und zu einer Nation zusammenwuchsen, konnte den dänischen Herrschern nicht gefallen. Das Stück war damals beim norwegischen Publikum ein großer Erfolg, denn auf der Bühne wurde im Kostüm historischer Ereignisse die aktuelle Sehnsucht nach einem geeinten und freien Norwegen formuliert. Diese rebellische Dimension des Dramas kommt in der Aufführung der „Limited Edition“ leider viel zu kurz. Aber vielleicht will Theater heute auch nur noch unterhalten und ist nicht mehr der Ort sein, an dem Geschichte rekonstruiert und Utopie entworfen wird. Eigentlich schade.

Frank Dietschreit, rbbKultur

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