Staatsoper Unter den Linden - "Mitridate, Re di Ponto" von Wolfgang Amadeus Mozart
Mozart war gerade erst 14 Jahre alt, als er auf seiner ersten Italienreise den Auftrag erhielt, für das Mailänder Teatro Regio Ducale eine große Oper zu komponieren: "Mitridate, Re di Ponto". Die Uraufführung fand 1770 statt. Inspiriert zu der Oper wurde Mozart von einem Drama des französischen Tragödiendichters Racine. Es geht in der Geschichte um einen König, seine beiden sehr unterschiedlichen Söhne, die beide dieselbe Frau lieben, die aber zugleich die Braut des Königs ist. Nun hat sich die Staatsoper Berlin dieses Stück voller Pathos und Leidenschaften vorgenommen, inszeniert wurde es von einem japanischen Team um den Regisseur Satoshi Miyagi.
Frühe Mozart-Opern hat es in Berlin – mit alleiniger Ausnahme der "Finta giardiniera" – seit 40 Jahren nicht gegeben. Ein recht niederschmetternder Befund angesichts von drei Berliner Opernhäusern, die sich stattdessen mit Blockbustern bewerfen. "Mitridate", Mozarts erstes großes Meisterwerk, hat indes genug Biss, Drive und Melodienkraft. Zumindest hier bei den Musiciens du Louvre. Es klingt, als sei es ein bis unters Dach mit Juckpulver gespickter Händel. Dirigent Marc Minkowski hat Hummeln im Hintern und legt Feuer.
Ein fabelhaftes Ensemble
Shooting-Star Pene Pati, der mir auf seiner Debüt-CD kürzlich weniger gefallen hatte, schneidet hier ungleich besser ab. Keine sehr schöne Stimme vielleicht (z.B. wegen nicht ganz sicherer, "gestopfter" Spitzentöne), doch er bietet in der Titelrolle fulminante Flüstertöne und ein ganz erstaunliches Maß an dynamischer und gestalterischer Differenzierung. Bei der in sich gebrochenen Figur des Mitridate handelt es sich um den militärisch unterlegenen König von Ponto (in der heutigen Türkei), auf dessen Verlobte beide Söhne scharf sind. (Sie auch auf einen davon.)
Mit Anna Maria Labin steht als Aspasia einer der führenden "lady sopranos" der Alten Musik bereit. Als ungetreuer Farnace debütiert der vielleicht beste Countertenor der jüngeren Generation: Paul-Antoine Bénos-Dijan. Angela Brower in der Hosenrolle des Sifare ist ein wenig androgyn. Dennoch ein fabelhaftes, auch fabelhaft geführtes Ensemble.
Die Inszenierung stört nicht
Gibt’s eine Inszenierung? Wir blicken auf eine vieretagige Tribüne aus Blattgold, Beige und Braun. Man könnte auch "Aida" auf ihr spielen. Der japanische Regisseur Satoshi Miyagi macht aus der Racine-Tragödie um Vatertreue und politische Loyalität eine edelgewandete Samurai-Geschichte voll stachliger Turmkronen, schirmhaltenden Domestiken und Trippel-Geishas. Ein in Gold getauchter Mizoguchi- oder Kurosawa-Film. Die Kriechnebel zu Anfang sehen auch wie beim "Schloss im Spinnwebwald". Alle Sänger, wie angenagelt stehend, können sich umso unbehelligter entfalten.
Es ist nicht leicht ist mit dieser Steh-Oper. Kurzum: Die Inszenierung stört nicht.
Ein vorbildlicher Auftakt der "Barocktage 2022"
Repertoirepolitisch, aber auch musikalisch eine sehr gute Aufführung. Wenn Tonfall und Stillage in einem altbekannten Saal "zum ersten Mal" erklingen, ist der Effekt enorm. Hinzu kommt, dass barocke und ältere Opern in Berlin ganz und gar mit dem – großartigen, aber ganz anders gearteten – René Jacobs assoziiert werden. Eine so daherstürmende, im Furioso leichtfüßig hinfliegende Alte Musik kennen wir hier kaum.
Ein vorbildlicher, entusiasmusfördernder Auftakt der "Barocktage 2022".
Kai Luehrs-Kaiser, rbbKultur