Evangelina Mascardi: Johann Sebastian Bach © Arcana
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Album der Woche | 02.05. - 08.05.2022 - Evangelina Mascardi: Bach - Sämtliche Lautenwerke

Die gebürtige Argentinierin Evangelina Mascardi hat ein Projekt realisiert, an das sich nicht viele Lautenisten wagen. Auf zwei CDs hat sie alle Solo-Werke von Johann Sebastian Bach aufgenommen, die in Lautenversionen überliefert sind. Eine grandiose Einspielung mit sensationeller Vorgeschichte!

Ein Teil der Aufnahmen hatte schon die Runde gemacht, bevor das Album herauskam. Denn nachdem Mascardi Bachs Partita c-Moll aufgenommen hatte, wurde sie von ihrem Tontechniker ermuntert, noch ein Video mit diesem Stück zu drehen. Denn von jenem Werk existierte noch keine Gesamtaufnahme im Internet. Gefragt, getan.

Viral

Ganz ohne große Marketing-Ziele stellten sie das Video im März 2021 in die sozialen Netzwerke, insbesondere auf die Plattform YouTube. Niemand hätte sich ausmalen können, was daraufhin geschah. Denn innerhalb einer Stunde generierte es 5.000 Klicks, nach fünf Wochen waren es eine halbe Million und inzwischen über drei Millionen. Und das mit einem unspektakulären Film, auf dem ein altes Instrument gespielt wird, das die meisten Menschen überhaupt nicht kennen!

Vorlieben

Dass Evangelina Mascardi das Projekt überhaupt in Angriff nahm, war nicht selbstverständlich. Die aus Argentinien stammende Virtuosin, die in Basel ausgebildet wurde und in Mittelitalien lebt, gilt als die beste Barocklautenistin der Gegenwart. Die Lautenwerke von Bach kennt sie bereits seit ihrer Jugend, als sie noch Gitarre spielte. Doch auf ihren Alben wollte sie lange lieber Kompositionen der großen Lautenisten des 16. bis 18. Jahrhunderts ins rechte Licht rücken. Bach kam ihr nicht in den Sinn.

Ermunterung

Erst als der erfahrene Gitarrist Frédéric Zigante, ein Kollege am Konservatorium von Alessandria, ihr unablässig in den Ohren lag, dachte sie um und widmete sich intensiv den Werken des Thomaskantors. Über einen Zeitraum von anderthalb Jahren nahm sie die sieben Suiten, Partiten und Einzelsätze auf, die in Fassungen für Laute erhalten sind. Für den häufigen Bearbeiter Bach nicht ungewöhnlich, dürften nur zwei oder drei der Kompositionen ursprünglich für das Zupfinstrument geschaffen worden sein.

Schwierig

Doch egal ob im Original oder umgewidmet, die Werke zeichnen sich durch einen hohen Schwierigkeitsgrad aus. Hinzu kommt, dass die Interpreten viele Lösungen finden müssen, um sie adäquat spielen zu können. Dies fängt bei Fragen des Akkordaufbaus an und geht über den Einsatz der Basssaiten bis hin zur Tonartenwahl. Bach war anscheinend nicht mit allen Feinheiten des Lautenspiels vertraut. Mascardi hat ihre Aufnahmefassung sehr sorgfältig erarbeitet, wobei sie die Stücke am Ende auswendig gespielt hat.

Neubau

Sogar ein Instrument hat sich die Solistin für ihr Bach-Projekt neu bauen lassen. Denn auf Barocklauten mit herkömmlichem Tonumfang fehlt ein tiefer Ton, der am Ende der Suite in g-Moll verlangt wird. Deshalb ließ sich Evangelina Mascardi von ihrem amerikanischen Instrumentenbauer eine größere Laute bauen, die früher als "Deutsche Theorbe" bekannt war.

Evangelina Mascardi; © Elena Somarè
Evangelina Mascardi | Bild: Elena Somarè

Risiko

Ihre Bach-Werke will die Musikerin nun auch vermehrt in Konzerten präsentieren. Viele Lautenisten meiden dieses Repertoire auf der Bühne, weil es ihnen zu schwierig ist. Doch Mascardi ist bereit, Risiken einzugehen, selbst wenn nicht alles perfekt gelingt. Doch sicherlich wird die 45-jährige Virtuosin das Konzertpublikum mit ihrem Spiel genauso verzaubern wie die Hörer ihres Albums. Unglaubliche Fingerfertigkeit und enorme Musikalität gehen bei ihr Hand in Hand.

Lächelnd sagt sie: "Mein Ziel ist, dass die Musik direkt und einfach und sorgenlos klingt. Beim Spielen ist das aber nicht mein Gefühl, das ist vielmehr immer ein kleiner Kampf. Aber ich arbeite daran, ich bin nicht fertig und immer am Lernen."

Rainer Baumgärtner, rbbKultur