Roman - Andreas Stichmann: "Eine Liebe in Pjöngjang"
Andreas Stichmann, geboren 1983 in Bonn, hat bisher einen Band mit Erzählungen und zwei Romane geschrieben und dafür viel Anerkennung und einige Auszeichnungen erhalten – vor allem für seinen Debütroman "Das große Leuchten". Darin erzählt er von einer Reise durch den Irak und durch die Wüste. Sein neuer, dritter Roman führt noch viel weiter weg: nach Nordkorea.
Der erste Satz klingt so dröge, als wolle Andreas Stichmann seine Geschichte dahinter verstecken. "In einer Sommernacht zu Beginn des 21. Jahrhunderts reisten zwei Dutzend Berliner Kulturmenschen zur Eröffnung einer deutschen Bibliothek nach Pjöngjang." Um die Eröffnung der Bibliothek geht es dann zwar auch, um Pjöngjang und Nordkorea durchaus, um die Kulturmenschen glücklicherweise kaum. Wichtig ist allein die Reiseleiterin Claudia Aebischer, die als Vorsitzende des Verbandes europäischer Bibliotheken der jungen Sunmi begegnet, die ihr als Dolmetscherin und Überwacherin zur Seite gestellt wird.
Eine unwahrscheinliche Liebesgeschichte
Die ganz und gar unwahrscheinliche, eigentlich unmögliche Liebesgeschichte, die sich daraus entwickelt, ist das eigentliche, das einzige Thema dieses schmalen Romans. Unwahrscheinlich nicht nur, weil die politische Konstellation der Überwachung in einer inszenierten Realität für beide Frauen ein hohes Risiko bedeutet, sondern weil sie sich vollkommen unterscheiden.
Die Deutsche ist fünfzig und ungebunden, die Nordkoreanerin erst dreißig Jahre alt und zwangsverheiratet mit einem einbeinigen, ordensbehängten Kriegsveteranen, den zurückzuweisen ihren Status als "Volksfreundin" beschädigt hätte. Die Deutsche, geboren in Jena und in der DDR aufgewachsen, gilt dort, im fernen Osten, gleichwohl als Westlerin, die all das verkörpert, was in der nordkoreanischen Gesellschaft mit Argwohn betrachtet wird.
Was beide Frauen verbindet, ist das Gefühl, ihrem Dasein entrinnen zu wollen. Claudia Aebischer befindet sich womöglich in der Midlife-Krise. Sie will aus ihrem Beruf aussteigen und endlich das "Poesie-Ding" durchziehen, wie sie ihren ungeschriebenen Roman nennt. Sunmi möchte vor allem ihrer Ehe, vielleicht auch ihrem Land entkommen und sehnt sich nach echten Gefühlen, nach Wirklichkeit.
Andeutungen und eine zurückhaltende Darstellung
Was Claudia Aebischer über Sunmis Herkunft erfährt, sind nur ein paar Andeutungen: die Kindheit in einem Dorf nahe der chinesischen Grenze, der Tod der Eltern, die winterliche Flucht nach Pjöngjang mit ihrem Schwesterchen, das in der Kälte in ihren Armen stirbt. Später dann die Ehe mit dem Einbeinigen, einem verdorrten Germanistikprofessor, der regelmäßig seine sexuellen Rechte einfordert.
Stichmann lässt diese knappe Erzählung immer da enden, wo auch Claudia Aebischers Vorstellungsvermögen endet. Das passt zu seiner zurückhaltenden, sensiblen Darstellungsweise.
Glaubwürdig und von enormer Einfühlungskraft
In diesem Roman stimmt jeder Satz. Man glaubt dem Autor nicht nur die beiden weiblichen Hauptfiguren, sondern nimmt ihm auch diese unmögliche Liebesgeschichte ab – schon deshalb, weil sie auf der Ebene der Attraktion und der Unerfülltheit bleibt. Mit den Augen der in ihrer Welt gefangenen Nordkoreanerin schaut er auf die Deutsche, so wie er mit deren Augen die Schönheit der Jüngeren einfängt. Das ist in der stillen Präzision der Beschreibungen von einer enormen Einfühlungskraft. Wenn Literatur daraus schöpft, Spielräume zu erweitern und Unmögliches vorstellbar zu machen, dann ist das Andreas Stichmann in diesem, seinem dritten Roman, geradezu vorbildhaft gelungen.
Eine bedrohliche Diktatur, gefüllt mit Leben
Wäre "Eine Liebe in Pjöngjang" bloß ein Roman über Nordkorea oder ein Reisebericht – eine Reise, die Andreas Stichmann tatsächlich unternommen hat und die ihm das Ausgangsmaterial lieferte – würde man nicht viel mehr erfahren, als das, was man über die Blackbox Nordkorea immer schon zu wissen meint.
So aber füllt er diese kulissenhafte, bedrohliche, unbegreifliche Diktatur mit lebensechten Figuren, ganz egal wie fiktiv und unwirklich diese Liebesgeschichte auch sein mag. Das gelingt ihm eben deshalb, weil er gar nicht erst versucht, Nordkorea erklären zu wollen. Ihn interessiert es nur als Unmöglichkeitsgelände, in dem er, wie in einem Labor, die Anziehungskraft zwischen zwei Frauen untersuchen kann, deren Entstehung mindestens so rätselhaft ist, wie all die kollektiven Wahnzustände dieser abgeschotteten Gesellschaft.
Jörg Magenau, rbbKultur