Alte Methoden und neue Geschmackserlebnisse - Kochen (fast) ohne Energie
Schwierige Zeiten erfordern zwar manchmal ungewöhnliche Maßnahmen - aber Spaghetti bei ausgeschaltetem Herd zu kochen, das geht für die Menschen in Italien zu weit. Seit Wochen diskutieren Spitzenköche mit Wissenschaftlern, ob es möglich ist, gut zu kochen und dabei Gas und Strom zu sparen. Sogar ein Physiker und Nobelpreisträger hat sich in der Diskussion eingemischt. Egal, wie man zur Debatte steht: der Versuch, in der Küche Energie zu sparen, kann auch zu neuartigen Geschmackserlebnissen führen, deren Prinzipien oft allerdings aus der Küche unserer Ahnen stammen.
Matschige Spaghetti gegen Putin essen? Das geht für viele Menschen in Italien zu weit. Das erklärt, warum sich aus dem Facebook-Post des Physikers und Nobelpreisträgers Giorgio Parisi so eine Debatte entfesselt hat. Pasta ins kochende Wasser geben, nochmals aufkochen lassen, dann den Herd ausschalten, Deckel aufsetzen und die normale Garzeit abwarten: Das Ergebnis dieser Prozedur unterscheide sich kaum vom normalen Kochen in sprudelnd kochendem Wasser, denn was zählt, sei nur die Temperatur.
Nudeln in der Pfanne fertiggaren
Der Tipp ist allerdings schon lange bekannt und dürfte jedem vertraut sein, der auf dem Campingplatz mit wenig Gasverbrauch kochen muss. Nur, in Zeiten ohne Not werden diese "Sparhacks" gerne vergessen.
Die Antwort auf den Tipp mit dem Nudelwasser hat nicht lange auf sich warten lassen: Der römische Sternekoch Antonello Colonna setzt so wie andere Küchenchefs schon immer auf eine andere Methode, die nicht nur Energie spart, sondern für Geschmack und Konsistenz besser sei: Pasta wird dabei erst in Wasser rehydriert - sprich in kaltes Salzwasser gelegt - und dann, wenn die Nudeln außen weich und innen noch hart sind, werden sie ähnlich wie Risotto mit den anderen Zutaten oder mit der Sauce direkt in der Pfanne fertig gegart. Dadurch wird Pasta schmackhafter, als wenn sie in Wasser gekocht wird, und bleibt bissfest.
Kochen mit dem Physiker
Allerdings dürfte es nicht so einfach sein, ohne alltägliche Praxis einzuschätzen, wie lange die Nudeln eingeweicht werden und in der Pfanne garen sollen, ohne dass die anderen Zutaten dann zerkochen. Oder umgekehrt: Pasta darf nicht länger garen, damit sie bissfest bleibt - aber die anderen Zutaten sind womöglich noch nicht fertig gegart. Aus dem Grund bleibt diese Methode eher Küchenprofis vorbehalten.
Mit Reis funktioniert die vom Physiker beschriebene Prozedur hervorragend: Den Reis (zum Beispiel Basmati) erst waschen, dann etwas einweichen lassen, ins Wasser geben, aufkochen lassen, Herd ausschalten, Deckel drauf und die übliche Garzeit abwarten. Der Reis bleibt sogar körniger, als wenn er in sprudelndem Wasser gekocht wird.
Eine völlig andere Methode, von der italienischen Bloggerin Lisa Casali erfunden, ist das Garen in verschlossenen Schraubgläsern, die in der Geschirrspülmaschine deponiert werden, um die Hitze des Spülgangs zum Kochen auszunutzen. So lassen sich Fleisch-, Fisch-, Eier- und Gemüsegerichte bei Niedrigtemperatur garen (65-75 Grad, weniger darf es nicht sein, da Erreger erst ab 60° abgetötet werden). Allerdings ist nicht klar, ob Schraubgläser oder andere Behälter den hohen Temperaturen, der aggressiven Reinigungslösung und dem säurehaltigen Klarspüler standhalten und wirklich dicht bleiben. Es kann also nicht ganz ausgeschlossen werden, dass Schadstoffe ins Essen gelangen.
Glas im Topf
Interessant ist eher der Vorschlag, im selben Topf, in dem ein Gericht lange kocht, ein verschlossenes Glas mit einem anderen Gericht zu deponieren - zum Beispiel das Glas mit den Beilagen in den großen Topf mit dem kochenden Reis oder mit den Kartoffeln. Der Garprozess verkürzt sich, da das Glas wie ein kleiner Schnellkochtopf wirkt, und das Garen geht im Glas selbst bei ausgestelltem Herd weiter. Der Geschmack der Zutaten verbindet sich im Glas sogar besser als beim Garen im Topf, außerdem verlieren die Gerichte deutlich weniger Vitamine und Nährstoffe.
Mit Dampfgaren lässt sich auch Energie sparen: Mit Hilfe eines Metallsiebs gart Gemüse im Dampf des Gerichtes, das unten im Topf kocht - zum Beispiel Hülsenfrüchte.
Auch ohne neue Einfälle gibt es aus langer Erfahrung und Ressourcenknappheit viele Tipps, die seit jeher in der Küche angewendet werden. Experten in diesem Fach sind sogennante Prepper, die sich tagtäglich auf apokalyptische Zustände einstellen und ganze Websites mit Ratschlägen zum Überleben in Steinzeitverhältnissen füllen.
Neues aus der Steinzeit
Wie war es damals? Es ist anzunehmen, dass es immer wieder Phasen gab, in denen nicht nur an Zutaten, sondern auch an Brennstoff gespart werden musste. Das Grillen dürfte die Urform des Kochens gewesen sein - aber sobald feuerfestes Geschirr zur Verfügung stand, ist wahrscheinlich der Eintopf entstanden und alle verfügbaren Zutaten – Gemüse, Fleisch, Pilze, Kräuter, Beeren – wurden mit Wasser gekocht. Eintopf war in Deutschland in den letzten 150 bis 200 Jahren DAS Kriegsgericht schlechthin: Resteessen, für das wenig Brennholz oder (später) wenig Gas gebraucht wurde.
Die große Wende kam Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts mit der sogenannten Kochmaschine aus Gusseisen: Mit den Metallringen oben und einem Ofenbereich an der Seite war sie Heizung und Kochofen in einem. Um ihn und um den Kamin spielte sich der Familienalltag ab, da die Schlafzimmer wenig oder kaum beheizt waren. Der Ofen konnte Speisen lange warmhalten, selbst wenn das Feuer schon lange aus war. Für einige Gerichte wurde der Topf direkt auf die heiße Glut des Kamins gesetzt: Aus dem italienischen Wort "brace" für Glut stammt der Name des traditionellen Gerichts "Brasato". Und viele hierzulande erinnern sich bestimmt an den Milchreistopf, der in einer Decke gewickelt ruhen durfte, bis der gequollene Reis hart wie Kleister war.
Gut für Klima und Konto
In vielen Küchenratgeber, die Zeiten des Mangels begleitet haben, stößt man auf Tipps, um Energie zu sparen. Zu den Bekannteren gehören: Wasser im Topf immer mit Deckel zum Kochen bringen, Herd und Ofen vor Ende der Garzeit ausschalten, um die Restwärme ausnutzen und Ofen nur bei Rezepten vorheizen, die es unbedingt erfordern.
Was noch? Zutaten zeitig aus dem Kühlschrank nehmen, damit sie nicht kalt in den Topf landen, und eher in kleine Stücke schneiden. Nicht allzu große Töpfe, am besten aus Edelstahl, und nicht zu viel Wasser als nötig sollte man benutzen, und harte Zutaten wie Hülsenfrüchte und Vollkorngetreide sollten länger einweichen, um die Garzeit zu verkürzen.
Unter allen Prozeduren scheint das Backen im Ofen am wenigstens ökonomisch zu sein: Einmal Kuchen backen kostet nach Rechnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz ca. 40 Cent. Das Frittieren in der Pfanne und in der wenig glamourösen Mikrowelle sollen wiederum viel besser abschneiden. Sogar der altmodische Schnellkochtopf kommt wieder zum Einsatz, da er den Energieverbrauch um gut ein Viertel reduzieren soll. Und der moderne Induktionsherd soll in Punkto Energieeffizienz Gas- und Elektroherde in den Schatten stellen.
Solche Überlegungen nützen vor allem denjenigen, die professionell kochen. Viele Unternehmen haben aus den höheren Energiepreisen schon Konsequenzen gezogen: Einige Bäckereien produzieren nur noch Kastenbrot und immer mehr Restaurants streichen Gerichte aus der Karte, die eine längere Garzeit erfordern. In Privataushalten lassen sich durch energiebewusstes Kochen keine hohen Beträge sparen. Dennoch ist heutzutage jede Handlung goldwert, die den Verbrauch fossiler Energie verringert im Kampf gegen ein Problem, den Klimawandel, das nicht erst jetzt entstanden ist und uns noch lange begleiten wird.
Elisabetta Gaddoni, rbbKultur