Das Labor, in dem der Honig fließt - Honig ohne Bienen
Die Diskussion um die Massentierhaltung erreicht in den seltensten Fällen auch die Imkerei. Das liegt zum einen schlicht am Miniaturformat der Staaten bildenden Wesen, die man meist nur im Plural antrifft, zum anderen aber auch daran, dass der Honig eine schier unangreifbare Stellung als gesundes Lebensmittel zu besitzen scheint. Nun hat ein israelisches Start-up ein Verfahren entwickelt, das die Produktion von Honig ohne Bienen erlaubt – und zwar überall und in beliebig großen Mengen. Thomas Platt war vor Ort in der Nähe von Tel Aviv und hat gleich sechs verschiedene Honig-Alternativen verkostet.
Auch wenn Einwände bislang an ihm abprallen, steht doch zumindest beim Mengenhonig aus dem Super- oder Biomarkt sehr in Frage, ob es sich noch um ein rundum natürliches und heilsames Produkt handelt. Prinzipiell bringt die planmäßige Bienenzucht Probleme mit sich, die häufig genug zum Einsatz von Medikamenten führen – ganz abgesehen von den Umweltgiften auf den landwirtschaftlichen Nutzflächen, die von den Bienen mit dem Nektar in den Stock getragen werden. Mit der gerade rapide steigenden Nachfrage nach gesunden Süßmitteln wird das gewiss nicht besser.
Honig zu vertretbaren Preisen und zur Rettung bedrohter Bienenvölker
Das ist umso gefährlicher, als den Bienen eine wesentliche Aufgabe im Gefüge unserer Lebensgrundlage zukommt. Nun wurde von einem Start-up ein Verfahren entwickelt, das die Produktion von Honig ohne Bienen erlaubt – und zwar überall und in beliebig großen Mengen. Nicht ganz zufällig liegt das Food-Tech-Unternehmen in einem Land, von dem die Bibel sagt, dass dort Milch und Honig fließen: BEE-IO im Science Park von Rehovot bei Tel Aviv.
BEE-IO-Mitgründerin Efrat Dvash ist davon überzeugt, dass ihr eben mit US-Patenten versehenes Produkt zur Lösung von gleich mehreren Problemen beiträgt. Zum einen möchte die Molekulargenetikerin die Honigversorgung von Millionen zu vertretbaren Preisen sicherstellen, zum anderen die vom Aussterben bedrohten Bienenvölker - darunter auch viele Wildbienenarten- entlasten, damit sie ihrer wichtigsten Funktion, dem Bestäuben von Wild- und Kulturpflanzen wieder in vollem Umfang nachkommen können.
Außerdem versucht das Unternehmen, eine sozusagen naturreine und nachhaltige Honigalternative weltweit auf den Weg bringen, die frei ist von Pestiziden, Fungiziden, Antibiotika und insbesondere Spinnengiften, die zur Bekämpfung von Milben verwendet werden.
Noch fehlt der "Honig-Kick"
Auf der Grundlage von natürlichen Pflanzensäften – der Vergleich zu Agaven- oder Ahornsirup beziehungsweise Rübensaft drängt sich hier auf – werden zunächst Zusammensetzung und Struktur von Honig im Bioreaktor so getreu wie möglich nachgebildet; außerdem werden Wertstoffe wie Antioxidantien zugesetzt, die bei der herkömmlichen Honigproduktion leicht verloren gehen können.
Auch in den hochmodernen Labors in der Nähe von Tel Aviv lässt sich die Natur nicht sämtliche Betriebsgeheimnisse entlocken. Deshalb fehlt diesem veganen Honig jene geschmackliche Komponente, um deren Imitation es den Herstellern von Fake-Honig vor allem in China vor allem zu tun ist: der typische Honig-Kick, eine mit wachsigen und harzigen Anteilen untermischte Tiefe, die ihn von anderen Zuckerarten unterscheidet. Andererseits wird der pflanzliche Charakter sehr gut getroffen, besonders deutlich bei den Sorten Kaffee und Lavendel, etwas abgeschwächt bei Eukalyptus und Zitrus und noch erkennbar als zarten Anflug in Calendula und Kamille.
Diese aromatischen Färbungen können zwar das Manko nicht ganz ausgleichen, das die Marktchancen zunächst limitieren wird. Aber lunga vista könnte sich ein Erzeugnis durchsetzen, das man als intelligenten Zucker bezeichnen könnte. Als solcher mag er auf Dauer nicht nur für Fortschrittsfreunde, sondern auch für viele Supermarkt-Konsumenten ein verlässlicheres Angebot darstellen als die vielen Honige im Regal, für deren Qualität und Herkunft es nach wie vor wenig Gewähr gibt.
Regionaler "Urhonig"
Als Maßstab bietet sich bereits jetzt ein Honig an, der das Aromaspektrum des Bienenwerks auf wirklich umfassende Weise ausbreitet: der "Urhonig" von Beckmann Urtracht. Seine Bienen können sich auf dem Gelände des konsequent um Nachhaltigkeit bemühten Landwirtschaftsprojekts "Wilmars Gärten" bei Ludwigsfelde gütlich tun. Beckmann entnimmt den Waben nur einen Überschuss, der das Überwintern der Tiere nicht gefährdet und den er im schonenden Pressverfahren gewinnt. Deshalb können sich im konzentrierten Nektar auch Propolis, Perga (auch Bienenbrot genannt, auf fermentierter Eiweissbasis), Harze und Wachs zu einem kulinarischen Erlebnis verbinden.
(Der "Urhonig" von Beckmann Urtracht ist donnerstags auf dem Akazienmarkt in Berlin-Schöneberg erhältlich - das 250 Gramm-Glas für 15,00 Euro.)
Thomas Platt, rbbKultur