Magyar Modern – die Berlinische Galerie zeigt die ungarische Moderne im Berlin der Zwanziger Jahre (Quelle: rbb/Sigrid Hoff)
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Berlinische Galerie - Magyar Modern: Ungarische Kunst in Berlin 1910–1933

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Vor 100 Jahren, in der Zeit der Weimarer Republik, ließen sich viele von der kosmopolitischen Aufbruchsstimmung der Stadt inspirieren und auch internationale Künstler zog es an die Spree, insbesondere aus Ungarn. Die Berlinische Galerie widmet ihre jüngste Ausstellung dem Beitrag, den sie zur Kunst der Klassischen Moderne zwischen 1910 und 1933 leisteten unter dem Titel "Magyar Modern" – Ungarische Moderne.

Schon die Galerie der Selbstporträts an der langen Wand vor den Ausstellungskabinetten ist erregt mit der expressiven Farbigkeit und dem kubistisch-fragmentierten Stil vieler Bilder, die an französische Vorbilder erinnern, Aufmerksamkeit.

Magyar Modern – die Berlinische Galerie zeigt die ungarische Moderne im Berlin der Zwanziger Jahre (Quelle: rbb/Sigrid Hoff)
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Ungarische Positionen, die in Berlin entstanden sind

Immer wieder trifft man in den neun Sektionen der Schau auf Arbeiten, die auf den ersten Blick an Paris denken lassen, tatsächlich aber Szenen aus Berlin zeigen. Etwa József Batós Ölgemälde einer Eisenbahnbrücke über einem dunklen Fluss mit Schiffen, die nicht die Seine, sondern die Spree am Bahnhof Friedrichstraße mit den Lichtspiegelungen der Großstadt zeigt. Oder Lajos Tihanyis kubistische Arbeit mit der Baerwaldtbrücke am Landwehrkanal in Kreuzberg in gedämpftem Rot-Grün.

Hugó Scheiber hingegen entfacht in seinem Bild "Auf der Straßenbahn" ein futuristisches Feuerwerk an Formen und Farben und fängt so das nervöse Tempo der Metropole ein.

"Wir zeigen ungarische Positionen, die hier in der Stadt entstanden sind und wir zeigen Werke, die hier ausgestellt wurden", beschreibt Kurator Ralf Burmeister die Auswahl der Künstler und ihrer Arbeiten in der Ausstellung in der Berlinischen Galerie.

László Mohoy-Nagy - der Bekannteste unter den ungarischen Avantgardisten in Berlin

Den Auftakt bilden Künstler der Gruppe der "Acht", denen der Galerist Herwarth Walden erstmals eine große Einzelschau in der Berliner Secession am Kurfürstendamm ausrichtete. Und sie endet mit 1933, dem Beginn der Nazizeit und der Diffamierung der Avantgardekunst als "entartet".

Mit dem Zerfall des Habsburger Reichs nach dem Ersten Weltkrieg und den politischen Umbrüchen in Ungarn emigrierten vor allem linke und zumeist jüdische Künstler nach Berlin. An der Spree entsteht beispielsweise László Mohoy-Nagys erstes radikal abstraktes Kunstwerk "Architektur I" von 1922, eine Ikone der Moderne. Der Maler und Lichtkünstler, der später am Bauhaus arbeitete, ist der Bekannteste unter den ungarischen Avantgardisten in Berlin, andere Namen sind heute vergessen oder in den Hintergrund gerückt, obwohl sie zur ungarischen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts gehören.

So zeigt die Ausstellung wichtige Positionen wie den Künstler Peter-Laszlo Péri, einen Freund von Moholy-Nagy, der 1921 mit ihm in der Galerie Sturm ausgestellt hat. Er ist der erste, der das neue Material Beton auch für die Bildhauerkunst nutzte. Der Künstler und Schriftsteller Lajos Kassák nennt Kurator Burmeister ein "Zentralgestirn der ungarischen Avantgarde", der die sogenannte Ma-Gruppe gründete. Die gleichnamige Zeitschrift wurde ihr Sprachrohr und vertrat linkspolitische avantgardistische Positionen wie den Konstruktivismus, der bei den Ungarn eine große Rolle spielt. Zugleich prägt Kassák den Begriff der "Bildarchitektur", nach dem viele abstrakte Arbeiten benannt sind. Sie eröffnen neue Imaginationsräume, denen die Ausstellung einen eigenen Raum unter dem Titel "Bild-Beton-Bau" widmet. Hier sind grafische, rein abstrakte Arbeiten zu sehen, die sukzessive in Architekturgestaltung überführt werden. Die Idee einer durch Architektur besseren Gesellschaft spiegelt sich im Neuen Bauen, wie es etwa die Siedlungsbauten von Fred Forbat in Siemensstadt und Haselhorst zeigen, von denen Entwürfe und zeitgenössische Fotos zu sehen sind.

Berlin - eine Zwischenstation der ungarischen Avantgarde

Bereits vor Forbat war der Theaterarchitekt Oskar Kaufmann aus Budapest an die Spree gekommen, dessen Bühnenhäuser vom Hebbel- über das Renaissancetheater bis zur Volksbühne die Stadt bis heute prägen.

Als Pressemetropole der Zwanziger Jahre bot Berlin ungarischen Bildjournalisten und Fotokünstlerinnen neue Möglichkeiten. Neben Martin Munkásci setzten insbesondere Fotografinnen wie Éva Besnyö und Judit Kárász Straßen und Plätze ins Bild und wählten Motive wie den Funkturm als technische Konstruktion für ihre von der Geometrie und Dynamik des Neuen Sehens geprägten Aufnahmen. Den Übergang von der Fotografie zum experimentellen Film repräsentiert wiederum László Moholy-Nagy, von dem die erst kürzlich wiederentdeckte Arbeit "Tönendes ABC" von 1933 gezeigt wird.

Den Schlusspunkt der Ausstellung bildet eine nationalsozialistische Schmähschrift von 1937. Sie fordert die "Säuberung des Kunsttempels", die Collage auf dem Umschlag zeigt von einem roten Kreuz durchgestrichene Werke der Moderne, darunter eine abstrakte Komposition von Moholy-Nagy.

"Die Ungarn waren so prominent in Berlin, dass man sie aufs Cover setzt, um sie durchzustreichen", resümiert Ralf Burmeister, "die gelten nichts mehr 1937."

Die meisten ungarischen Künstler wurden in die Emigration getrieben, nach England oder in die USA. Dort konnten sie häufig an ihre früheren Erfolge anknüpfen, Moholy-Nagy gründete 1937 in den USA sein "New Bauhaus". Berlin blieb eine Zwischenstation der ungarischen Avantgarde.

Ihren Anteil an der Rolle Berlins als Drehkreuz der internationalen Avantgarde vor 1933 wieder ins rechte Licht zu rücken, ist das Verdienst dieser Ausstellung.

Sigrid Hoff, rbbKultur