Mystery-Drama - "Weißes Rauschen"
1985 feierte der Schriftsteller Don DeLillo seinen Durchbruch mit seinem achten Roman "Weißes Rauschen", eine Satire auf die amerikanische Konsum- und Angstgesellschaft der damaligen Zeit. Lange galt der Romanklassiker als unverfilmbar, der amerikanische Independent-Regisseur Noah Baumbach ("Marriage Story") hat es dennoch versucht. Während alle bisherigen Filme von ihm stark autobiografische Züge hatten, ist "Weißes Rauschen" seine erste Adaption einer Romanvorlage. Im Herbst eröffnete der Film den Wettbewerb des Festivals von Venedig, jetzt kommt die Netflix-Produktion in unsere Kinos.
Es geht um die Dynamik einer Patchworkfamilie in den 80er-Jahren: "Sind das alles deine Kinder?" fragt der von Don Cheadle gespielte Kollege. "Das hier sind meine, aus der ersten und der dritten Ehe", erwidert Jack. "Das da ist Babettes mit Ehemann Nummer zwei, Wilder ist unserer und wir sind jeweils unser vierter Ehepartner". Ziemlich turbulente Verhältnisse!
Buntes Patchwork-Familienchaos
Während die Eltern eine sorglose Zuversicht pflegen, engagieren sich die Kinder für Umweltschutz: "Das Zeug verursacht Krebs bei Versuchstieren im Labor", weist die Älteste ihre Mutter zurecht, die gerade Kaugummis aus dem Supermarkt-Regal nimmt und frotzelnd kontert: "Entweder kaue ich Kaugummi, oder ich rauche!"
Gespielt wird sie mit wallendem 80er-Jahre-Wuschellockenkopf von Greta Gerwig, der Lebensgefährtin des Regisseurs. Ihren derzeitigen - den vierten - Ehemann Jack spielt Adam Driver, der in fünf Filmen unter der Regie von Baumbach in gewisser Weise zu seinem Alter Ego geworden ist. "Wenn die Tage ziellos sind und die Jahreszeiten dahintreiben, versuche nicht die Action in einen Plan zu zwingen", sagt er und spiegelt damit durchaus auch die filmische Herangehensweise des Regisseurs. Und wenn die Nachrichten Horrormeldungen verbreiten, schlägt er vor, lieber auf eine Sitcom umzuschalten.
Beziehungsgeschichte und Katastrophenfilm
Anders als die reinen Beziehungsgeschichten von Noah Baumbach ist "Weißes Rauschen" zugleich auch eine Art Katastrophenfilm: Bei der Kollision eines Tanklasters mit einem Zug kommt es zur Explosion, die von der Familie durchs Fenster ihres Hauses in der Ferne beobachtet wird. Auch angesichts alarmierender Nachrichten über die schwarze, giftige Wolke, die sich von der Unfallstelle ausbreitet, bleibt Jack stoisch gefasst: "Das kommt nicht in unsere Richtung", beruhigt er die besorgten Kinder. "Natürlich müssen wir unser Haus nicht verlassen", versichert er noch, als bereits von der Straße eine Megaphon-Durchsage ins Haus schallt, die alle Bewohner zur Evakuierung aufruft.
Der entspannt familiäre Umgang zwischen den erwachsenen Schauspielern und den Kinderdarstellern hat viel mit der luxuriös langen Probenzeit von einem Monat zu tun, in der sie wirklich zur Familie zusammengewachsen konnten. Und das heißt auch, dass die literarisch gemeißelte Sprache von Don DeLillo eine gelebte Alltäglichkeit annimmt.
Furiose Tanzchoreografie im Supermarkt
Auf der Flucht vor der toxischen Wolke landet die Familie in einem Auffanglager. Kaum angekommen müssen sie auch von dort wieder fliehen.
Im Spannungsfeld von beklemmendem Endzeitdrama und intimer Familiengeschichte mit komödiantisch absurden Momenten streifen Roman und Film viele Themen, die seit Erscheinen des Buches im Jahr 1985 nur virulenter geworden sind: Massenhysterie und Todesangst, Religion und Krieg, und vor allem Konsum und Medien als Zerstreuung und Ablenkung.
Die fremde Vorlage und das Setting in der Vergangenheit führen auch dazu, dass Noah Baumbach nicht nur die Wahrhaftigkeit des echten Lebens einfängt, sondern in Action- und Massenszenen auch eine kunstvolle Inszenierung zelebriert. So dürfte ein großer Teil des Budgets in den Bau eines riesigen Supermarktes geflossen sein: Angefüllt mit der bunten Warenwelt der 80er-Jahre wird er im Abspann-Finale zur Bühne für eine furiose Tanzchoreografie zu den Klängen von "New Body Rhumba" vom LCD Soundsystem.
Anke Sterneborg, rbbKultur