Dokumentation - "Igor Levit - No Fear"
Während des Lockdowns waren sie für viele Menschen ein Anker: die Hauskonzerte des Pianisten Igor Levit. 52 Mal spielte er in seiner Wohnung auf dem Flügel und streamte die Konzerte live. Ein Hauskonzert fand sogar auf Einladung des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue statt. Levit gilt als einer der bedeutendsten Pianisten der Gegenwart, sein Opus magnum sind die Sonaten von Ludwig van Beethoven, die er 2019 vollständig aufgenommen hat. Jetzt kommt ein Film über Igor Levit ins Kino – "No Fear" von Regina Schilling.
Am Anfang des Films zeigt Regina Schilling, welchen Mut es braucht, überhaupt vor Publikum aufzutreten. Man sieht Igor Levit im Amsterdamer Concertgebouw, wie er vor der Saaltür steht. Er legt die Hände aneinander, wie um sie zu konzentrieren, gibt dem Saaldiener ein Zeichen, dieser öffnet die Tür. Und da blickt die Kamera von Johann Feindt in den vollen Zuschauerraum wie in einen Höllenschlund.
Ein Film über Abgründe
Ein Abgrund tut sich auf, ein Abgrund von erwartungsfrohen Menschen, die dem Pianisten schon vorab applaudieren. Ein Moment, in dem jeder Sterbliche Reißaus nehmen würde. Levit federt elastisch die Treppe herunter und setzt sich an den Flügel.
Man denkt natürlich, der Titel "No Fear" meint diesen Schrecken vor Beginn des Konzerts. Eigentlich aber bezieht er sich auf Beethoven. Denn gefragt, was er an Beethoven so schätze, antwortet Igor Levit: "Seine Furchtlosigkeit".
Blick ins Studio
Am spannendsten sind die Szenen, die im Tonstudio gefilmt wurden. Dort kann man Igor Levit und seinem Produzenten und Tonmeister Andreas Neubronner über die Schulter schauen. Für Radiomenschen ist das eine helle Freude, wenn die beiden ganz vertraut, sehr professionell am Schneidetisch sitzen und über einzelne Takte oder Übergänge diskutieren. Besonders schwierige Passagen spielt Levit tatsächlich auch nur in winzigen Sequenzen ein.
Man kann aber auch die Anstrengung des Klavierspiels erkennen. Manchmal schmerzen dem Pianisten die Hände vom Fingerspreizen. Dabei bleibt Igor Levit ein Getriebener, ein kleiner Springteufel, immer unter Spannung. Der Tonmeister bildet den Ruhepol. Nur manchmal formuliert er sanft, aber deutlich, wenn etwas nicht so gut gelungen ist.
Wenn Neubronner zufrieden ist, wippt sein Fuß in der Birkenstock-Sandale. Das vermittelt die Intimität der kreativen Arbeit, die Konzentration, die Feinheit - da kann man sehen, wie die beiden am Klang feilen.
Bach in der Jesus-Christus-Kirche
Hören kann man die feinen Qualitätsunterschiede bei den Aufnahmen in der Berliner Jesus-Christus-Kirche in Dahlem. Hier haben schon die Philharmoniker ihre Aufnahmen eingespielt. Der Raum sieht eigentlich profan aus. Die blauen Holzstühle sind übereinandergestapelt. Nur manchmal spiegelt sich im Flügel das bunte Glas des Kirchenfensters. Igor Levit produziert hier Bachs "Herr Gott, nun schleuss den Himmel auf". Wenn der Tonmeister erklärt, wie alle tiefen Töne separat stehen, dann hört man das in dieser Akustik.
Anders bei den Konzertaufnahmen - da sieht man eher, wie Levit körperlich in die Musik eintaucht, wie er sich hineinbegibt in den Dialog mit dem Komponisten, sich dabei völlig verausgabt, fast wie in Trance wirkt. Der Schweiß tropft auf die Tasten. Später erzählt er, dass er danach, wenn er allein zu Hause ist, an fundamentalen Selbstzweifeln leidet.
Nur wenig persönlich
Einmal begleitet das Kamerateam Igor Levit beim Shoppen - das ist vielleicht der persönlichste Moment in diesem Film. Der Bühnenanzug, sagt er, ist ihm unerträglich geworden, ein Relikt aus Großvaters Zeiten, als er noch mollig war und nicht ins Fitnessstudio ging. In Hannover wurde er einmal aus einem Schickimick-Laden hinauskomplimentiert, weil er nicht hip genug aussah. Eine Archivaufnahme aus Tel Aviv von 2005 zeigt ihn tatsächlich etwas breiter. Mit weichem Gesicht. Noch ist nichts von dem politischen Levit zu erkennen, aber die ganze Dünnhäutigkeit des jungen Künstlers liegt schon offen da.
Leider finden die Interviews immer zwischen Tür und Angel statt. Levit ist in Gedanken schon wieder ganz woanders und gibt nur bruchstückhafte Antworten. Da wünschte man sich, Künstler und Regisseurin hätten sich einmal in Ruhe zusammengesetzt und nicht immer nur im Vorübergehen gesprochen.
Simone Reber, rbbKultur