Drama - "Die Magnetischen"
"Die Magnetischen" ist eine romantische Coming of Age-Geschichte und zugleich eine musikalische Zeitreise in die 80er-Jahre in der Bretagne und in Berlin. Premiere feierte das Spielfilmdebüt von Vincent Maël Cardona 2021 auf dem Festival in Cannes in der Quinzaine de Réalisateurs, seitdem haben der Film und seine Macher viele Preise bekommen - unter anderem einen César für den besten Debütfilm und der junge Hauptdarsteller Thimothee Robart wurde als vielversprechender Nachwuchsschauspieler ausgezeichnet. Jetzt kommt der Film endlich auch in unsere Kinos.
Es liegt eine Wehmut über den ersten Sätzen, die Philippe (Thimotée Robart) am Anfang des Films aus dem Off spricht: "Ich war nicht scharf drauf, ins Mikro zu sprechen, du warst unsere Stimme und ich war einfach nur der Typ an den Reglern, dein kleiner Bruder, und das war okay. Wir haben Radio gemacht, ich platzte vor Stolz.“
Die Wehmut des unwiederbringlich Vergangenen
Es geht um den kleinen Piratensender "Radio Warschau" (benannt nach der ersten Band des gerade verstorbenen Joy Division-Sängers Ian Curtis), den Philippe und sein älterer Bruder Jérome (Joseph Oliviennes) in den frühen 80er-Jahren auf einem Dachboden in einem kleinen Dorf in der Bretagne betreiben. Es ist die wilde Zeit des Umbruchs, mit der melancholischen und wütenden Postpunkmusik von Joy Division, Iggy Pop und den Undertones. Die Wehmut des unwiederbringlich Vergangenen liegt in den Worten, die an den älteren Bruder gerichtet sind. Man ahnt, dass er sie nicht mehr hören kann.
Die Stimme der Geliebten als Spielmaterial
Es geht in "Die Magnetischen" um die Leidenschaft für Musik und Radio, in den analogen Zeiten von Tonbändern, Kassetten und Vinyl in den 80ern. Es geht auch um ein Coming of Age zwischen Land und Stadt, zwischen Bleiben und Gehen. Und es geht um die Liebe zu Marianne (Marie Colomb), der Friseurin, die für ein Jahr mit ihrer Tochter aus Paris gekommen ist.
Philippe ist scheu und zurückhaltend, sein Bruder Jérome extrovertiert und häufig betrunken, er angelt sich Marianne, Philippe himmelt sie von der Ferne an. Einmal bittet er sie, für einen Radiojingle etwas einzusprechen: "P for Peace" - noch einmal etwas sanfter, noch einmal geflüstert. Ihre Worte werden mit Echo versehen im Endlos-Loop zum Spielmaterial einer virtuos gesampelten Klangcollage, in der die Marseillaise, über Nachrichtenmeldungen fließend in Marschmusik übergeht, in einer Verbindung von Kampfesruf und Friedensbotschaft.
Live eingespielte Klangperformance
Ausgerechnet der scheue Philippe wird zum Militärdienst eingezogen, doch immerhin kommt er damit raus aus dem Heimatdorf in die weite Welt, hin- und hergerissen zwischen der Sehnsucht nach Marianne und dem großen Abenteuer in Berlin, West und Ost, wo er im Radiostudio des britischen Militärsenders experimentieren darf.
Eine der schönsten Szenen des Films spielt dort: Weil ihm für eine Liebesbotschaft an die ferne Marianne die Worte fehlen, lässt er in einer live eingespielten Klangperformance Geräusche, Töne und Musik sprechen. Er wuchtet einen schweren Lautsprecher auf den Tisch, löst die Studiomikrofone, so dass sie darüber baumeln, beginnt virtuos mit Reglern, Bändern, Kassetten zu hantieren, Töne ineinander zu schieben und übereinander zu blenden, um sie am Ende in den Song "Teenage Kicks" von den Undertones münden zu lassen.
Ein Füllhorn raffiniert verwobener Geschichten
So vieldeutig wie der Titel "Les Magnetiques", "Die Magnetischen", der die Technik der Magnettonbänder mit den menschlichen Anziehungskräften verbindet, ist der ganze Film angelegt, zugleich eine Zeitreise in die frühen 80er-Jahre in Frankreich, in denen der Sozialist Mitterand gewählt wurde, in das geteilte Berlin von damals mit all seinen musikalischen Verlockungen - von Malaria bis Nina Hagen und vor allem in die wundersame Zeit der analogen Töne.
Last but not least ist der Film auch eine zartromantische Liebesgeschichte und ein beflügelndes Coming of Age: "Nicht Politik wird die Welt verändern, sondern Kunst, Musik", sagt Philippes Freund bei der Armee. "Du bist in Berlin, du machst Radio - du bist da, wo du hingehörst", sagt Marianne.
Anke Sterneborg, rbbKultur