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Dokumentation - "Nawalny"

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Seit Wochen und Monaten erleben wir, wie unerbittlich und unmenschlich der russische Herrscher Putin Krieg führt, ohne dass ihn jemand aufhalten könnte. Einen hätte es vielleicht gegeben, der aber sitzt seit zwei Jahren im Gefängnis: der russische Oppositionspolitiker Alexei Nawalny. Schon 2020 hatte der Kreml versucht, ihn mit dem Nervengift Nowitschok auszuschalten - der Anschlag aber misslang, Nawalny überlebte.

Aktuell sitzt Alexei Nawalny in einem Straflager, man geht davon aus, dass er, solange Putin an der Macht ist, hinter Gittern bleiben wird. Er war in Freiheit, ging 2021 aber freiwillig zurück nach Russland. Warum? Darauf gibt Nawalny selbst eine Antwort: Er wollte eines nicht, sagt er in der Dokumentation, er wolle kein weiterer Oppositionspolitiker im Exil sein.

Seinem Selbstverständnis nach gehört er nach Russland. Und so ist seine Rückkehr auch ein Signal an das russische Volk: "Lasst euch nicht einschüchtern, es geht: Ich traue mich auch!" Dass der Kreml so hart und unmittelbar gegen ihn vorgehen würde, war dann doch ein Schock.

Nawalny hat die Fäden in der Hand

Direkt nach der Landung in Moskau im Januar 2021 nahm man ihn fest. Wie schwarz Uniformierte den hochgewachsenen Nawalny in seinem grünen Anorak abführen, er gerade noch einmal seine Frau umarmen kann - das sind die letzten Bilder, die das Team des kanadischen Regisseurs von ihm drehen konnte.

Der Film beginnt im August 2020 mit einem Interview, das Regisseur Daniel Roher mit Nawalny führt. Nawalny sitzt am Tisch und blick direkt in die Kamera. Zu diesem Zeitpunkt lebt er nach dem brutalen Giftanschlag, der ihn fast sein Leben gekostet hätte, mit seiner Familie in Deutschland, im Schwarzwald.

Noch immer körperlich angeschlagen, lässt er sich auf die Idee ein, diese Dokumentation zu drehen. Wohl auch weil Daniel Roher mit einem Journalisten zusammenarbeitet, der auf russische Giftanschläge spezialisiert ist und gerade die Hintermänner im Fall Nawalny recherchiert, die dann Rückschlüsse auf den Auftraggeber zulassen. Der Kreml bestreitet ja bis heute, mit dem Anschlag auf Nawalny etwas zu tun zu haben. In diesem ersten Interview erleben wir einen Menschen, der genau weiß, was er will, und wo die Reise hingehen soll: "Vergiss deinen Film, Daniel, und lass uns einen Thriller machen." Ganz klar: Es ist Nawalny, der hier die Fäden in der Hand hält.

Ein bitteres Spiel

Der russische Oppositionspolitiker und ehemalige Rechtsanwalt ist wahrscheinlich so, wie Putin träumt, zu sein: elegant, schnell im Kopf, eloquent, mutig und witzig, ein Spieler, der natürlich auch seine Methoden hat, um ans Ziel zu kommen. Vor allem aber ist er ein charismatischer Mann, ein Medienstar, der genau weiß, was er will, der die Gabe hat, alle anderen mitzureißen.

Zunächst ist da sein Team, das er anleitet - das andersherum aber auch auf ihn aufpasst und ihn schützt. So zunächst auch vor dem noch jungen Regisseur Daniel Roher, den das Team zu Beginn nicht wirklich einschätzen kann: Ist er vielleicht doch ein Spion? Man verlässt sich dann auf die Intuition des Chefs - denn Nawalny traut ihm. In jedem Fall ist Nawalny sicher der Mann, den Putin am meisten hasst. Neben Selensky vielleicht. Wie sehr, macht Roher sehr anschaulich, indem er Putins Auftritte zeigt: wie der es bei Fernsehauftritten oder Pressekonferenzen nicht schafft, Nawalnys Namen auszusprechen, sich auch körperlich windet, von "jener Person, die…" und dem "Gefangenen, der…" spricht. So wird Nawalny nur noch größer. Und muss umso härter dafür zahlen. Ein bitteres Spiel.

Nawalny in Höchstform

Der Weg zu den Hintermännern des Giftanschlags hatte Nawalny gelockt, bei der Dokumentation mitzumachen. Und da wird der Film sehr konkret. Als der bulgarische Journalist Christo Grozev von dem Recherchenetzwerk Bellingcat die Namen der Täter herausgefunden hat, beschließt Nawalny, diese Männer anzurufen. Wir sind dabei. Und erleben Nawalny nach anfänglicher Nervosität in Hochform.

Er gibt sich als Geheimdienstler aus, der wissen will, warum der Anschlag auf den Oppositionsführer Nawalny gescheitert ist. Drei Männer legen sofort auf. Einer aber lässt sich auf das Gespräch ein und redet. Erzählt, wie sie Nawalny seit 2016 schon bespitzelt haben, um ihn umzubringen und ihn dann im August 2020 auf dem Flug von Sibirien nach Moskau mit Nowitschok vergiften. Nowitschok – dieses Nervengift trägt die Handschrift Putins.

Das Gespräch stellt Nawalnys Team kurz darauf online, in den ersten 20 Minuten sind es 300 Tausend Klicks, nach 7 Stunden hatten es 7,7 Millionen Menschen gesehen. Der Mann, der da geredet hat übrigens, ist direkt danach verschwunden. Man hat ihn nie wieder gesehen.

Momente, die Geschichte schreiben

All das ist sehr spannend und dabei auch etwas reißerisch – doch ist es absolut legitim, dass der Film in Thrillermanier auf die Einmaligkeit solcher Szenen setzt. Wann haben Filmemacher die Chance, Momente, die Geschichte schreiben werden, mit der Kamera festzuhalten? Daneben gibt es die Interviews, Archivmaterial, iPhone und russische Propaganda-Aufnahmen.

Aber der Film hat auch Momente der Stille. Wenn Nawalny als winziger Punkt durch den Schnee stapft, wird seine ganze Verlorenheit deutlich. Oder die Traurigkeit seiner Frau Julia, eine tragische und heldinnenhafte Figur. Die Angst seiner Kinder, die immer schon damit leben, dass ihr Vater eines Tages getötet werden könnte.

Bei all dem ist es schwierig, Nawalnys Charme nicht zu verfallen, doch lässt der Film keinen Zweifel daran, dass er sich seiner Wirkung in fast jeder Einstellung durchaus bewusst ist. Und auch bei ihm, dem Selbstdarsteller und Medienprofi, gibt es Situationen in denen er brüchig wird, sich nicht unter Kontrolle hat. Das sind winzige Momentaufnahmen – aber gerade die machen den Film neben seiner politischen Brisanz so eindrücklich.

Christine Deggau, rbbKultur

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