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Deutschland ist ein reiches Land. Trotzdem wächst auch hier jedes fünfte Kind in einer Familie auf, die von Armut bedroht ist. Wie gehen diese Kinder mit ihrer Armut um? In Ihrem Buch "Für Euch" erzählt Iris Sayram von Ihrer Kindheit. Sie ist Juristin, Journalistin, arbeitet für den rbb - und ihre Kindheit war geprägt von Mangel, Hartz4 und Scham.
"Ich habe mich für dich geschämt. Geschämt dafür, wie Du ausgesehen hast. Angst gehabt, dass man Dir ansehen könnte, was du beruflich machst. Dabei hast Du viel Geld damit verdient und es uns im Überfluss gegeben. Dafür habe ich mich nicht geschämt. Woher hattest Du bloß diese Kraft? "Für Euch", hast Du immer gesagt."
Ihr Buch ist eine Verbeugung vor ihrer Mutter. Iris Sayram ist preisgekrönte Journalistin mit Doktortitel in Jura. Eine Bilderbuchkarriere könnte man sagen. Aufgewachsen ist sie in armen Verhältnissen und nicht in einem Akademiker Haushalt.
Iris Sayram, Autorin
"Wir hatten original 2 Bücher: einen uralten Duden und Anatomie für Künstler. Ansonsten fand das einfach nicht statt, ich hab dann irgendwann gemerkt, dass mir eine Welt verschlossen bleibt weil ich bei super vielen Dingen ja nicht so mitreden konnte und deswegen haben Bücher einen total hohen Stellenwert bekommen. Weil ich gemerkt habe, dass sie einem eine andere Welt zeigen können."
Die Welt, von der Iris Sayram erzählt, ist ihre eigene Kindheit im Köln der 80er Jahre. Sie wächst im Friesenviertel auf. Zwischen Puffs und Discotheken. Geld ist immer knapp, der Vater ist türkischer Einwanderer, spielsüchtig, die Mutter putzt Klos. Eine Gemeinschaft aus Zockern, Junkies und Prostituierten.
Iris Sayram, Autorin
"Das waren Freunde, das waren Frauen, die mir nachts Geschichten zum einschlafen vorgelesen haben oder Freunde von meinem Vater, die Spässe mit mir gemacht haben, Kartentricks mir gezeigt haben. Ich hatte da nicht die Vorstellung, dass das schlechte Menschen sind."
Ungeschönt und gleichzeitig liebevoll beschreibt sie Orte und Menschen, die in Ihrer Biografie eine Bedeutung haben und lässt sie in einem anderen Licht erscheinen. Diese Fußgängerunterführung erinnert sie an den Ort, wo sie als Kind gespielt hat.
Iris Sayram, Autorin
"Das war ein total dreckiger Ort aber wir waren da halt alleine, haben die erste Zigarrette geraucht, mal hier und da auch einen Böller knallen lassen der Mege Hall hatte, es gab eine lange Rolltreppe die man schön runter rutschen konnte. Und obwohl der Ort schmutzig war und manchmal nach Pisse gerochen hat, war das halt unser Spielplatz."
Auch wenn Sie in prekären Verhältnissen aufwächst- Ihre Mutter liebt sie bedingungslos.
Iris Sayram, Autorin
"Das krasseste war oder was für sie so total typisch ist, ist ihre Lebensfreude, dass sie sich von nichts hat abschrecken lassen. Es ist eigentlich egal, welche schlimmen Schickssalsschläge sie ereilt haben, sie ist eigentlich immer wieder aufgestanden und hat immer weiter gemacht und sie hat ihre Kraft und ihren Mut auch nie verloren."
Irgendwann sind es nicht nur Putzjobs, die ihre Mutter in Bordellen verrichtet. Iris Sayram erzählt, wie das Leben der Famile immer mehr in Schieflage gerät. Die Mutter prostituiert sich- alles, um dem Kind etwas kaufen zu können, um den Strom zu bezahlen, der ständig abgestellt wird. Sie infiziert sich mit HIV. Mehrmals muss sie ins Gefängnis.
Iris Sayram, Autorin
"Ich will auch nicht abstreiten, dass ich so grade in der Teenagerzeit Schwierigkeiten hatte mit ihrem Werdegang, mit ihrer einfachen Art, wo ich das Gefühl hatte, ich müsste was Besseres sein oder ich möchte mich in eine andere Gesellschaft rein sneaken und hab sie ja dann auch verleugnet und das ist der absolute Tiefpunkt, den man als Kind erreichen kann."
Lesung, Iris Sayram
"Plötzlich unterbricht Robert und zeigt mit dem Finger nach draußen. "Guckt mal die Alte da, wie sieht die denn aus!, diese Dauerwelle. Die ist ja so fett, die sieht aus, wie ein Käfer!" Die gesamte Runde gröhlt jetzt wieder sehr laut. Die Frau geht nah am Fenster vorbei, sie hat den Blick gerade nach vorn gerichtet, bemerkt uns durch die Scheibe nicht und wirkt freundlich. Ganz so, als sei sie mit sich und ihrer Umgebung völlig im Reinen. Die Frau ist meine Mutter."
Für Iris Sayram ist ihre Mutter eine Heldin, wie die Künstlerin Divine. Eine starke Person, die strahlt, trotz aller Unperfektheit.
Iris Sayram, Autorin
"Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir früher diese Musiksendung "Formel Eins" geguckt haben, die lief ja im WDR Fernsehen und da trat diese Künstlerin auf - Divine"
"I am so beautiful."
Iris Sayram, Autorin
"Ich weiß noch, wie wir da gesessen haben und meine Mutter so: "Boah, dat is ja der Hammer!" Und ich fand es auch irgendwie der Hammer. Und irgendwie haben wir uns damit identifiziert."
Iris Sayrams Buch "Für Euch" ist eine beeindruckende Liebeserklärung an die Mutter, gleichzeitig Zeugnis dafür, wie hart es ist, in unserem wohlhabenden Land den sozialen Aufstieg zu schaffen.
Autorin: Charlotte Pollex