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Aus einem Kind eine "allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeit" machen. Dieses Ziel hatte Schule in der DDR. Christian Bäucker kam 1987 in die erste Klasse. Für seinen Dokumentarfilm "Heimatkunde" hat er seine alte Schule in Bärenklau in Brandenburg nochmal besucht, um über "früher" zu sprechen.
Die Polytechnische Oberschule "Hans Beimler" im brandenburgischen Bärenklau. Inzwischen ein leerstehendes Gebäude. Eine Erinnerung. An die Kindheit. An die DDR.
Vor 35 Jahren wurde Christian Bäucker hier eingeschult – jetzt ist der Filmemacher zurückgekehrt, trifft ehemalige Schüler, Lehrer, Direktoren.
Karin B.
- "Das ist von Dir."
"Die Grenztruppen schützen die Grenzen unseres Landes am Tag und der Nacht. Und die Kampfgruppen schützen wichtige Betriebe. Das war der Unterschied."
- "Ich habe als Lehrer unterrichtet mit dem Ziel, dass die Kinder klug werden und irgendwann später mal einen guten Beruf lernen. Das war mein Ziel."
"Aber es gab ja die Erziehung zur sozialistischen..."
- "Ja, das spielte eine Rolle mit."
"… zur sozialistischen Persönlichkeit."
- "Ja, dass man sich an Regeln hält, als Jungpionier, dann Thälmann-Pionier, dann FDJ. Aber das gehörte dazu."
Filmausschnitt, Heimatkunde, Regie: Christian Bäucker
"Unter Erziehung versteht man, die zielgerichtete Einwirkung auf den Menschen, um ihn in seiner Entwicklung zu fördern und für ein aktives und nützliches Leben in der Gesellschaft vorzubereiten. In unserer sozialistischen Gesellschaft ist das Erziehungsziel die sozialistische Persönlichkeit."
Christian Bäucker, Regisseur
"Dieser Erziehungsauftrag, ein sozialistischer, patriotischer, und internationalistisch denkender Mensch zu werden, der seine Heimat und liebt und verteidigt, auch mit der Waffe in der Hand verteidigt, wenn man das jungen Menschen angedeihen will, ist das persé erstmal eine stark zu hinterfragende Sache."
Schule in der DDR - das war auch Schule in einem "kalten Krieg", in der Kinder nicht nur lesen und schreiben lernten. Von Anfang an schrieb das DDR-Bildungssystem vor, wer man zu werden und wie man auf diesem Weg zu sein hatte. Ohne klares Feindbild war eine sozialistische Persönlichkeit nicht zu machen. Die Uniform dafür: Pionierbluse und Halstuch.
Filmausschnitt, Heimatkunde, Regie: Christian Bäucker
"Also die 3 Ecken des Pioniertuches: Elternhaus, Schule, Pionierorganisation. Die drei Ecken wirken auf die Erziehung des Kindes."
- "Und das waren die 3 Ecken die am Kind gezogen haben?"
"Richtig. Oder die für das Kind verantwortlich waren, die dafür sorgen wollten, dass das Kind gut und gebildet aufwächst."
Kathi K.
"Ich war leidenschaftlich gern Pionier. Ich mochte es, als es hieß, wir können die weiße Pionierbluse anziehen und wo es dann die Halstücher gab. Es war eine schöne Zeit. Man war in der Gruppe, man war dabei, egal, was man konnte oder nicht konnte. Ich weiß, dass ich ganz oft Situationen hatte, dass man stolz war, wenn man etwas geschafft hatte. Ja, wir waren Helden!"
Filmausschnitt, Heimatkunde, Regie: Christian Bäucker
"Pioniere voran lasst uns vorwärts gehen.
Pionier stimmt an, lasst die Fahnen wehn.
Unsere Fahne, die führt in das Morgenrot hinein.
Wir sind stolz Pionier zu sein."
So schön also konnte Kindheit im Sozialismus sein: Kinder als kleine Helden. Heldentum nicht als Einzelleistung, sondern als Gruppenarbeit. Wir statt Ich. Aber eben auch Kinder in Uniform auf dem Weg zum normierten Menschen.
Kathi K.
"Trotz dessen ich eine gute Schülerin war, war ich teilweise zu temperamentvoll. Ich weiß noch in der 1. Klasse gab es eine schriftliche Bewertung. Da stand drin, sie ist eine fleißige Schülerin, aber sie kann ihr Temperament nicht zügeln. Das habe ich nie vergessen. Damals, ich fand das jetzt nicht schlimm, aber es war als negativ betitelt."
Was für Menschen hat das DDR-Schulsystem hervorgebracht - nur Ja-Sager, Mitläufer, Untertanen?
Christian Bäucker, Regisseur
"Dieses Klarkommen mit vorgefertigten Wegen, dieses Klarkommen "Hier gibt es gewisse gesellschaftliche Vorgaben, den entspreche ich einfach mal" - Was ist das? Das ist für mich die Frage.
Und man erzog sich auch gegenseitig zum Mitläufertum. Das war das Grundmomentum der Gruppenerziehung in der DDR, dass praktisch Kinder angehalten waren, sich gegenseitig dazu zu erziehen, doch für die richtigen Seite zu sein."
Uta M.
"Es ist ja wahrscheinlich in Diktaturen, in solchen Systemen gefordert, dass man sich unterordnet. Das war das Prinzip: Unterordnen damit man nicht auffiel und damit das System ohne Probleme weiter existieren konnte. Wer sich unterordnete, der war keine Gefahr."
Schule als Brutstätte gefahrloser Menschen - war das das Ziel? Und der Ertrag? Christian Bäucker "Heimatkunde" urteilt nicht über Menschen und verweigert allzu leichte Gewissheiten. In der Vielstimmigkeit der Erinnerungen erzeugt der Film ein tiefes Nachdenken darüber, was für eine Lebens-Schule das war - damals.
Autor: Lutz Pehnert