Beamte der Bundespolizei bei einem Zugriff gegen eine Schleuserbande. Bild: IMAGO/Justin Brosch
Bild: www.imago-images.de

Millionengeschäft - Das dubiose Netzwerk der Luxusschleuser

Zwei deutsche Anwälte sollen wohlhabenden Chinesen über Jahre Scheinwohnsitze und Scheinfirmen besorgt haben, um ihnen so deutsche Aufenthaltstitel zu verschaffen. Insgesamt soll das Netzwerk um sie neun Millionen Euro eingenommen haben. Ob es um den Vorwurf der Korruption gegenüber einem SPD-Landratskandidaten geht, die mögliche Bestechung eines CDU-Landrats oder das Kölner Groß-Bordell Pascha: Fast täglich kommen neue Details ans Licht. Spätestens seit klar ist, dass einer der mutmaßlichen Schleuseranwälte den Wahlkampf von NRW-Innenminister Reul mit großzügigen Spenden unterstützt hat, beschäftigt der Fall auch die große Politik. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen 58 Beschuldigte. Und Kontraste-Recherchen werfen die Frage auf: Gibt es möglicherweise Verbindungen zum chinesischen Geheimdienst?
 
Beitrag von Andrea Becker, Anne Grandjean, Georg Heil, Chris Humbs und Markus Pohl

Anmoderation: Und zuerst geht es bei uns um eine Riesenrazzia. Mitte April durchsuchten rund 1.000 Beamte Wohnungen und Geschäftsräume im gesamten Bundesgebiet - und es waren gute Adressen darunter. Denn der mutmaßliche Schleuserring, der da ausgehoben werden sollte, hat sich aufs Luxussegment verlegt: Gegen viel Geld sollen Chinesen mit deutschen Aufenthaltstiteln versorgt worden sein. Und der Fall zieht immer weitere Kreise: Bis in die deutsche Politik - und den chinesischen Geheimdienst.

Dieser Film handelt von einer Bande, die reiche Chinesen illegal nach Deutschland geschleust haben soll. Er handelt von mutmaßlich korrupten Politikern, von einem Groß-Bordell im Herzen von Köln, von einem zu Unrecht beschuldigten AfD-Abgeordneten und – womöglich – vom chinesischen Geheimdienst. Aber der Reihe nach.

Razzia im Morgengrauen. Wie hier in Solingen durchsuchen Mitte April mehr als 1.000 Ermittler Wohnungen und Geschäftsräume eines mutmaßlichen Schleuser-Netzwerks. Bei den bundesweiten Razzien finden die Beamten rund 450.000 Euro Bargeld, und sie stellen mehr als 30 Immobilien sicher.

Im Zentrum der Ermittlungen: Die Rechtsanwälte Johannes D. und Claus B. aus dem Raum Köln. Mithilfe 56 weiterer Beschuldigter sollen sie über Jahre hinweg rund 150 Menschen illegal nach Deutschland gebracht haben – in erster Linie zahlungskräftige Chinesen.

Gemeinsam mit unserem Kollegen Henrik Hübschen vom WDR-Magazin Westpol recherchieren wir seit Wochen zu den sogenannten Luxus-Schleusern:

Henrik Hübschen, Redakteur WDR

"Ihnen wird vorgeworfen, dass sie ganz gezielt über Scheinwohnsitze, Scheinfirmen, fingierte Lohn-Zahlungen, die deutschen Behörden getäuscht haben, damit reichen Ausländern, vor allen Dingen Chinesen, erstmal Visa erteilt werden, damit die nach Deutschland kommen können, und dann eben auch Aufenthaltsgenehmigungen."

Offensiv warb Claus B. im Ausland für die Möglichkeit, eine Blue Card zu erhalten, die Hochqualifizierten den Aufenthalt in der EU ermöglicht. So wie in dieser Präsentation:

Claus B., Beschuldigter

"Wir haben hier in Deutschland ein großes Netzwerk. Unser Ziel ist, sie durch den Dschungel von Zuwanderung und Investitionen zu leiten und ihnen allen zu helfen, nach Deutschland zu kommen."

Claus B. will sich wegen laufender Ermittlungen derzeit nicht äußern.

Nach Überzeugung der Ermittler soll das Netzwerk bis zu 360.000 Euro pro Schleusung kassiert haben. Ausgestattet mit solchen Generalvollmachten der Interessenten sollen reihenweise Scheinfirmen gegründet worden sein, bei denen die Chinesen auf dem Papier angestellt wurden – um so Aufenthaltsgenehmigungen zu ergaunern.

Henrik Hübschen, Redakteur WDR

"Die Voraussetzungen, die man dafür erfüllen muss, die waren eben eigentlich nicht gegeben, weil es eben keine tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse gab, weil es keine tatsächlichen Investitionen gab, sondern weil all das nur vorgetäuscht worden sein soll."

Verdächtig etwa der Hinweis auf der Webseite einer chinesischen Firma, die Claus B. als Partner listet. Für eine Blue Card, heißt es da, müsse man das eigene Jahresgehalt in Höhe von 67.000 Euro vorauszahlen – hier die deutsche Übersetzung der Seite.

Wir fahren zu einer Adresse in Solingen, bei der mehrere der mutmaßlich Geschleusten gemeldet sind. Offenkundig ein Scheinwohnsitz. Die Namen stehen an den Klingelschildern, gesehen habe man die Chinesen hier aber nie, versichern uns Anwohner.

Mit einem Aufenthaltsrecht in der EU würden reiche Chinesen ihr Vermögen vor der Kommunistischen Partei absichern, sagt die China-Expertin Mareike Ohlberg.

Mareike Ohlberg, China-Expertin, German Marshall Fund

"Im Ausland hat die KP dann quasi keinen Zugriff auf diese Gelder. Das heißt für sich selber, aber auch vielleicht für die eigenen Kinder versucht man sich im Ausland dann ein zweites Standbein aufzubauen, wo man dann im Notfall oder im Krisenfall oder falls man selber jemals in Schwierigkeiten gerät, dann hin ausreisen kann und da schon mal Geld hat."

Besonders brisant an den Schleusungen: Es sollen mehrere Kommunal-Politiker involviert sein, darunter etwa Jens B. von der SPD, Referatsleiter im Kreis Düren. Er soll 300.000 Euro Bestechungsgeld in bar erhalten haben, um Druck auf die örtliche Ausländerbehörde auszuüben. Eine Kontraste -Anfrage ließ er unbeantwortet.

Auch gegen den Dürener Landrat Wolfgang Spelthahn wird seit kurzem wegen Bestechlichkeit ermittelt. Noch kurz nach den Razzien zeigte sich der CDU-Politiker im WDR-Magazin Westpol schwer enttäuscht vom Hauptbeschuldigten Claus B.

Wolfgang Spelthahn (CDU), Landrat Kreis Düren

"Wir haben auch mit Menschen zusammengearbeitet, wo wir im Nachhinein auch die Frage stellen, mit welchen Motiven waren die unterwegs."

Was Spelthahn damals verschweigt: Er war mindestens zweimal gemeinsam mit Claus B. in China, zuletzt im Sommer vergangenen Jahres, wie wir bei unseren Recherchen herausfinden.

Kontraste

"Warum haben Sie uns nicht erzählt, dass sie mit Herrn B. mehrfach in China waren in den letzten Jahren?"

Wolfgang Spelthahn (CDU), Landrat Kreis Düren

"Entschuldigung, wir hatten vereinbart keine Fragen..."

Kontraste

"Letztes Jahr noch, auf einer offiziellen Veranstaltug von ihrem Kreis."

Wolfgang Spelthahn (CDU), Landrat Kreis Düren

"Das wird schriftlich beantwortet, das war so nicht abgesprochen, das können wir nicht machen."

Bezüglich der China-Reisen beruft sich Spelthahn auf Erinnerungslücken. Zu den Ermittlungen gegen ihn sagt er:

"Ich habe mir nichts vorzuwerfen und werde alles tun, um diesen Anfangsverdacht zu entkräften."

Angesichts immer neuer Enthüllungen gerät vor allem die Union in NRW unter Druck: Denn Claus B. und seine Firmen haben mehrfach an verschiedene Gliederungen der Partei gespendet:

Besonders pikant: Rund 30.000 Euro an die CDU im Kreis Rhein-Berg. Aufgeteilt in drei Tranchen zu je 9.990 Euro, und damit knapp unter der Veröffentlichungspflicht ab 10.000 Euro.

Bestimmt war dieses Geld ausdrücklich für den Wahlkampf von NRW-Innenminister Herbert Reul. Der räumt mittlerweile ein, Claus B. mindestens achtmal getroffen zu haben, davon dreimal in seinem Ministerium.

Kontraste

"Treffen sie sich mit jedem, der so viel spendet, so oft?

Herbert Reul (CDU), Innenminister NRW

"Erstens spenden relativ selten Leute etwas, noch seltener in den Größenordnungen, und treffen tue ich mich mit viel, viel mehr Leuten, auch die mir gar nichts spenden. Das hat mit der Spende nichts zu tun."

Hinweise, dass Reul von den mutmaßlich kriminellen Aktivitäten gewusst haben könnte, gibt es aber bislang nicht.

In die Schleusungen involviert soll hingegen dieser aus China stammende Mann sein: Herr X, ein umtriebiger Unternehmer, der zu den Beschuldigten zählt. Wir versuchen, ihn zu sprechen:

Kontraste

"Sie gelten als Mitbeschuldigter im Luxusschleuser-Verfahren."

Herr X

"Bitte mit meinem Medienanwalt Kontakt aufnehmen!"

Kontraste

"Würden sie uns sagen, was an den Beschuldigungen dran ist?"

Herr X

"Bitte mit meinem Anwalt."

Der lässt ausrichten, sein Mandant bestreite alle Vorwürfe.

Mit seiner Firma hat X. in den Aufbau einer privaten Fachhochschule investiert, die eng mit chinesischen Instituten kooperiert.

Und er soll Claus B. begleitet haben, als dieser 2021 das berühmt-berüchtigte Pascha in Köln erstand – im Auftrag einer chinesischen Investorin. Das Großbordell hat im 9. Stock eine Hotel-Etage. Dort soll der Schleuserring, so berichten es mehrere Medien, Geschleuste untergebracht haben. Und: Die Ermittler würden darunter auch chinesische Spione vermuten. Eine Meldung, die von der Staatsanwaltschaft nicht bestätigt wird, die das Pascha dementiert - und über die man sich offenbar mit dieser Figur im Bordellflur lustig macht.

Der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Kriminalbeamte Sebastian Fiedler glaubt allerdings nicht, dass die mutmaßlichen Schleusungen dem chinesischen Staat verborgen geblieben sind:

Sebastian Fiedler (SPD), Bundestagsabgeordneter

"Das halte ich für geradezu auszuschließen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie groß dieser Überwachungsapparat innerhalb Chinas ist. Insoweit würde ich alleine aus dieser logischen Herleitung heraus zunächst einmal davon ausgehen, dass auch von diesen Bestechungsnetzwerken der chinesische Staat etwas gewusst haben muss."

Gibt es also eine mögliche Verwicklung Pekings in die Aktivitäten des Luxus-Schleuser-Rings? Dafür könnte eine Begebenheit sprechen, die unmittelbar mit Kontraste zu tun hat – und mit einer Politik-Lobby-Agentur in der Mitte Berlins. Drei der Beschuldigten hielten bis vor wenigen Tagen Anteile an der Firma, Claus B. war sogar als einer der Geschäftsführer tätig.

Im Juli vergangenen Jahres beauftragt dieser Chinese die Agentur. Er nennt sich Stefan S., nach Kontraste-Recherchen ist er persönlich mit Claus B. bekannt und bewegt sich im Umfeld des mutmaßlichen Schleuser-Netzwerks. Sein Instagram-Account belegt zahlreiche Aufenthalte in Deutschland.

S. bittet die Agentur, ihn an Journalisten zu vermitteln, denn er habe belastende Informationen über den AfD-Bundestagsabgeordneten Rainer Kraft. In der notorisch China-freundlichen AfD ist Kraft ein Außenseiter. Immer wieder kritisiert er die kommunistische Diktatur und setzt sich stattdessen für das demokratische Taiwan ein.

Auf einer parlamentarischen Reise durch den kleinen Inselsaat lobte er dessen wirtschaftliche Entwicklung:

Rainer Kraft (AfD), Bundestagsabgeordneter

"Taiwan produziert auf extrem hohen Niveau auf dem weltweit höchsten Niveau Halbleiter und ist sozusagen fast schon Monopolist für die besten Chips auf der Welt."

Der Chinese S. behauptet, Kraft werde vom taiwanesischen Geheimdienst bezahlt, er habe 20.000 Euro erhalten. Die Agentur gibt die Information an Kontraste weiter. Als vermeintlichen Beleg schickt man uns den Screenshot einer Überweisung von einer taiwanesischen Bank an die Ehefrau Krafts. Allerdings weist die Agentur selbst auf eine Unstimmigkeit hin: Die angegebene Kontonummer existiert überhaupt nicht. Offenbar will S. Journalisten mit einer dreisten Fälschung auf eine falsche Fährte locken.

Damit konfrontiert schreibt S. in einer Email an die Agentur:

"kann man ohne Beweise die Pressmitteilung als Skandal von Herrn Kraft veröffentlichen? Der Mandant kann die finanzielle Unterstützung mühelos verwirklichen."

Wer die Auftraggeber von S. sind, bleibt im Dunkeln. Die China-Expertin Mareike Ohlberg aber sagt, die Motive glichen denen des Regimes in Peking.

Mareike Ohlberg, China-Expertin, German Marshall Fund

"Der chinesische Parteistaat hat natürlich ein großes Interesse daran, Taiwan zu diskreditieren. Da dann den Eindruck zu erwecken, dass Taiwan hier mit unlauteren Mitteln arbeitet, dass Taiwan versucht, im Ausland Politiker zu kaufen. Das ist ein Narrativ, das man auch so immer mal wieder hört von offiziellen Stellen in China."

Hellhörig macht vor allem das Timing. In einer Mail vom 27. Juli 23 drängt S:

"welche Medien ist egal aber nur auf jedenfall zu veröffentlichen in der kommenden Woche"

Und damit zu einem Zeitpunkt als Taiwan mit besonders guter Presse in Deutschland rechnen konnte: Denn Anfang August verkündete der taiwanesische Hersteller TSMC eine Milliarden-Investition in den Bau einer Chip-Fabrik hier bei Dresden.

Wollte eine ausländische Macht also gezielt einen unliebsamen Bundespolitiker diskreditieren? Rainer Kraft erklärt, nie Geld aus Taiwan erhalten zu haben und mutmaßt über Stefan S.:

"Sehr wahrscheinlich steht besagte Person in den Diensten der kommunistischen Diktatur der Volksrepublik China."

Viele Fragen sind noch offen, rund um das mutmaßliche Schleuser-Netzwerk. Aber es scheint, als könnte es auch ein Fall für die Spionageabwehr werden.