Fragwürdige Traumatherapie -
Der Münchener Professor Franz Ruppert behauptet, dass ein Großteil der Menschheit früh traumatisiert wurde – das aber vergessen habe. Ruppert will eine Methode entwickelt haben, um die Erinnerungen zurückzuholen. Wissenschaftlich anerkannt ist sie nicht. Mittels so genannter Anliegen-Aufstellungen zeigt er seinen Patientinnen und Patienten die angeblich vergessenen Ereignisse. Sogar Traumatisierungen, die vor der Geburt stattgefunden hätten, könne er so aufdecken. Kontraste-Recherchen zeigen: Auffällig häufig ist das Ergebnis von Rupperts Methode, dass die Patienten sexuelle Gewalt durch ihre Familie erlitten hätten. Fragwürdige Anschuldigungen, die ganze Familien zerstören können.
Anmoderation: Und dann gibt es die, die vertrauen sich und ihre Krankheiten diesem Gesundheitssystem gar nicht mehr an – sie suchen nach alternativen Methoden – und Antworten auf die quälende Frage, warum ausgerechnet sie krank geworden sind. Einige wenden sich da einer sehr fragwürdigen Therapieform zu, mit der sich praktischerweise so gut wie jedes gesundheitliche Problem erklären lässt: Schuld sind traumatische Erlebnisse - oft: sexuelle Gewalt in der Kindheit. Und wer sich partout an nichts Derartiges erinnern kann, dem wird mitunter auf die Sprünge geholfen - wie Silvio Duwe herausgefunden hat.
Das ist Franz Ruppert, Psychotherapeut – und Professor an der Katholischen Hochschule in München. Seit über 20 Jahren arbeitet er mit seiner eigenen Methode, die er heute IoPT nennt – der Identitätsorientierten Psychotraumatherapie. Ein Verfahren, das unter anderem auf der Annahme basiert, dass quasi alle Menschen traumatisiert seien und ihre Traumata verdrängt hätten.
Seine Theorie präsentiert er auch im Internet, unter anderem auf Seiten, die sonst auch Verschwörungserzählungen verbreiten:
Franz Ruppert
"Wir haben nach wie vor wahnsinnige Mengen an sexuellen Traumatisierungen in der Kindheit. Also wenn ich mal anguck, von den Frauen, die zu mir in die Praxis kommen, wer ist da nicht sexuell traumatisiert unter die Räder gekommen?"
Fast alle Klientinnen sexuell traumatisiert? In einem Buch beschreibt Ruppert, welche Symptome für ihn unter anderem "Warnsignale für das Vorliegen einer sexuellen Traumatisierung" sind - darunter Allerweltssymptome wie:
- Ekzeme im Mundbereich,
- Zahnfleischentzündungen,
- starker Mundgeruch,
- Halsentzündungen (...)
Auch bei Angela Merkel vermutet er ein mögliches Trauma in der Kindheit, wie bei allen Politikern.
Franz Ruppert
"Das kannst du im Grunde bei allen sehen, die da oben in den Machtpositionen sind. Also ich kann da nur spekulieren, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kindheit von der Frau Merkel eine tolle Kindheit war."
Als wir die Bundespsychotherapeutenkammer nach Rupperts IoPT-Methode fragen, heißt es:
"Zur 'Identitätsorientierten Psychotraumatherapie' liegt keine Anerkennung durch den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie vor."
Anbieten darf er seine Therapiemethode dennoch – an Privatzahler.
Wir treffen den umstrittenen Therapeuten zum Interview.
Franz Ruppert
"Ich war schon immer daran interessiert, eine ursachenorientierte Methode zu entwickeln und dass ich so tief komme bis in den vorgeburtlichen Bereich, bis in den Bereich der Schwangerschaft, bis in den Bereich der Geburtsprozesse, bis in den Bereich der hochsensiblen Tage und Wochen und Jahre nach der Geburt hat mich natürlich auch überrascht, aber ich bin natürlich sehr froh darüber, dass mir das gelungen ist, hier eine Methode zu entwickeln, die das schafft."
Seine Thesen haben mittlerweile weltweit Anhänger gefunden. Von Amerika bis Asien finden sich Therapierende, die nach Rupperts Methode arbeiten. Seine Bücher sind in zahlreichen Sprachen erschienen, so auf Englisch, Spanisch oder etwa Russisch.
Wie IoPT funktioniert, zeigen diese Bilder.
Auf einer öffentlichen Veranstaltung stellt Ruppert seine Therapiemethode vor. Vor rund 50 Leuten aus ganz Deutschland und dem Ausland demonstriert er seine Methoden an sich selbst. Dafür formuliert er einen Satz, mit dem er sich auseinandersetzen will.
Franz Ruppert
"Das ist die Aussage von einem Arzt, der mir Blut abgenommen hat. Der sagt: ich habe zu wenig rote Blutkörperchen."
Zusammen mit der Gruppe will Ruppert jetzt den Grund dafür herausfinden. Dazu soll ein Teilnehmer sein "Ich" spielen, ein anderer seine "roten Blutkörperchen". Sie sollen sich jetzt in ihre Rollen hineinversetzen. Ruppert fängt plötzlich an zu weinen. Daraufhin krabbelt der Mann, der Rupperts "Ich" sein soll, auf ihn zu. Ruppert umarmt und streichelt ihn. Stöhnt und weint im Wechsel. Dann fragt er den Teilnehmer, der seine roten Blutkörperchen darstellt, wie es ihm damit geht.
Teilnehmer rote Blutkörperchen: "Du machst diesen Sound, stöhnst die ganze Zeit. Das fühlt sich an wie Sex. Ich will nicht in deinem Körper sein. Ich will raus. Ich kann das nicht sehen. Es ist eklig, eklig, eklig. Sorry."
Franz Ruppert
"Also du meinst, ich habe sexuellen Missbrauch erlebt?"
Teilnehmer rote Blutkörperchen
"Ja! Ja, ja! Ja."
Zum Verständnis: Der Teilnehmer, der die roten Blutkörperchen spielt, meint eine Erklärung für Rupperts aufgestellten Satz zu haben. Er habe zu wenig rote Blutkörperchen, weil diese nicht in Rupperts Körper sein wollen, weil er vergewaltigt worden sein soll.
Ruppert sagt uns später im Interview, er habe tatsächlich durch seine Methode herausgefunden, dass er vergewaltigt wurde.
Wir zeigen der Psychologin Bianca Liebrand von der Beratungsstelle Sekteninfo Nordrhein-Westfalen Bilder von Rupperts öffentlicher Veranstaltung. Sie hält die Vorstellung seiner Therapie-Methode für hochproblematisch.
Bianca Liebrand, Sekteninfo Nordrhein-Westfalen
"Das kommt mir vor wie ein inszeniertes Theaterstück jetzt gerade und hat mit Therapie in dem Moment, mit seriöser Therapie, nichts zu tun. Schockiert mich tatsächlich, das zu sehen. Ja, es ist sehr übergriffig und grenzüberschreitend - diese körperliche Nähe. Das darf so in der Therapie nicht stattfinden."
Eine Gefahr, die Liebrand sieht: Durch Rupperts Methode könnten verfälschte Erinnerungen erzeugt werden.
Bianca Liebrand, Sekteninfo Nordrhein-Westfalen
"Ich bin ja ein instabiler Mensch, wenn ich in eine Therapie gehe und bin auf der Suche danach, warum geht es mir schlecht? Und dann wird mir das in dem Setting nahegelegt: Es könnte ja sein, eventuell, vielleicht. Ah, da gab es mal eine Situation. Denken Sie sich noch mal hinein. Das ist ja schon merkwürdig, wie sich da eine Person in der Situation verhalten hat. Ist da vielleicht noch mehr? Überlegen Sie noch mal! Und dann kann es schnell passieren, dass man diese verfälschten Erinnerungen dann erzeugt."
Könnte das auch ihren Töchtern passiert sein? Diese zweifache Mutter möchte unerkannt bleiben. Sie wurde von ihren beiden erwachsenen Töchtern ganz plötzlich schwer beschuldigt, nachdem diese bei IoPT-Sitzungen waren. Seitdem sind sie davon überzeugt: ihre Familie hat ihnen vor 30 Jahren sexuelle Gewalt angetan. Sie seien vom Vater und Großvater vergewaltigt worden, außerdem seien sie täglich im Kindergarten durch einen Logopäden missbraucht worden. Die Mutter habe sie zudem in ein Bordell gegeben und als Arbeitssklavinnen ausgebeutet.
Nicht nur die Mutter versichert, das alles sei nie geschehen. Auch Bekannte und Verwandte, mit denen wir sprechen, halten die Schilderungen für absolut unplausibel. Auch eine unabhängige rechtspsychologische Gutachterin, der wir diesen Fall schildern, hält es für äußerst unwahrscheinlich, dass das so passiert ist.
Und auch Ruppert selbst räumt ein, dass seine Methode nicht immer zwangsläufig die Wahrheit ans Licht bringt.
Franz Ruppert
"Wobei ich dann auch niemandem jetzt würde: Schau her, das ist der Beweis! Sondern guck mal, wie es dir geht. Also guck mal, ob es dir besser geht, wenn du das in Betracht ziehst, dass bei dir vielleicht ein sexueller Missbrauch stattgefunden hat und ob deine Symptomatik sich bessert."
Wie schätzt er die Gefahr ein, dadurch falsche Erinnerungen zu erzeugen?
Franz Ruppert
"Also die Gefahr, das Risiko, die Möglichkeit ist immer gegeben. Bei allem, was wir tun. Aber ich kann es nicht verifizieren, indem ich sage, ich habe jetzt so und so viele Fälle, dass sich das da gezeigt hätte."
Im Rahmen seiner Psychologie-Professur an der Katholischen Stiftungshochschule München bildet er Sozialarbeiter und Hebammen aus. Kontraste liegen Skripte von Rupperts Vorlesungen vor. Offenbar lehrt er auch hier seine unwissenschaftliche IoPT-Methode. Das zumindest erzählen uns mehrere Studierende. Immer wieder hätten sie sich bei der Hochschulleitung darüber beschwert.
Student
"Ich finde es natürlich schon problematisch, weil und das kann man ja auch immer nur wieder sagen, es ist nicht wissenschaftlich fundiert und dann aus einem Hochschulstudium herauszugehen und noch so was zu arbeiten, das verfehlt einfach den Sinn von einer Hochschulbildung. Ich würde mir wünschen, dass mehr Dozierende direkter Kritik üben würden."
Wieso darf Ruppert so etwas lehren? Die KSH schreibt uns dazu:
Für die Hochschultätigkeit ist Art. 5 Abs. 3 GG zu beachten, wonach Wissenschaft, Forschung und Lehre frei sind (…) so dass ein Eingreifen in Lehrinhalte – so schwer das im Einzelfall auch auszuhalten ist – nur in Ausnahmesituationen zulässig ist.
Immerhin haben Ruppert und die Hochschule sich darauf verständigt, dass er seine Therapie auf dem Campus nicht mehr praktiziert und auch keine Studierenden zu Therapien einlädt. Im kommenden Jahr endet Rupperts Lehrtätigkeit.
Seine IoPT Methode wird allerdings weiterhin angewandt – laut Ruppert allein in Deutschland von über 160 Therapeutinnen und Therapeuten.
Beitrag von Silvio Duwe