Ramin Y. Bild: privat/Instagram
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Anschläge auf Synagogen - Ex-Rockerboss im Iran unter Verdacht, Drahtzieher zu sein

Mitte November finden in Nordrhein-Westfalen gleich zwei Anschläge auf Synagogen statt. Doch wer steckt dahinter? Die Suche nach den Tätern führt an den Dortmunder Stadtrand, ins Mönchengladbacher Rocker-Milieu - aber auch bis in den Iran. Ein wegen Mordes international gesuchter Rocker-Boss soll aus dem Iran heraus ein Operationskommando der Revolutionsgarden in Deutschland steuern, so der Verdacht. Wir sprechen hier von "Staatsterrorismus", erklärt ein Ermittler gegenüber Kontraste. Auch den Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, könnte das Kommando im Visier gehabt haben. Nun werden die Forderungen immer lauter, die Revolutionsgarden in der EU als terroristische Vereinigung einzustufen.

Anmoderation: Hallo zu Kontraste - schön, dass sie da sind - heute beschäftigen wir uns mit dem Mann, der unser Gesundheitssystem retten soll, einer schwindelerregenden Therapiemethode – und mit diesem Rockerboss, der wegen eines brutalen Mordes gesucht wird. Und etwas mit Terroranschlägen auf deutschem Boden zu tun haben soll. Befehligt aus dem Iran. Dem Land, das seit fast genau drei Monaten von Protesten durchgeschüttelt wird - selten hat die Revolutionsgarde - einzig installiert, um das Regime zu verteidigen - so gegen das eigene Volk ausgeholt. Die Todesurteile fallen täglich und sie fallen schnell. Aber auch hierzulande ist die Elitetruppe der Mullahs aktiv. Alles, um den Erzfeind Israel zu treffen. Anne Grandjean, Georg Heil und Markus Pohl.

Der lange Arm Irans reicht offenbar bis an den Dortmunder Stadtrand. Hier wohnt ein Mann, der nach Überzeugung deutscher Ermittler Anschläge auf jüdische Einrichtungen begehen sollte – im Dienste des Mullah-Regimes.

Gesprächsversuch mit seinen Angehörigen.

Anonym

"Wer ist da?"

Kontraste

"Hallo, hier Anne Grandjean, ich komme von der ARD, dürfte ich ihnen ein paar Fragen stellen?"

Anonym

"Tut mir leid, der Zuständige ist nicht da, keine Info, tschüss."

Der "Zuständige" heißt Babak J., ein 35 Jahre alter Deutsch-Iraner. Seit dem 19. November sitzt er in Untersuchungshaft.

Die Ermittler werfen ihm vor, einen Molotowcocktail in der Nacht auf den 18. November auf eine Schule in Bochum geworfen zu haben. Offenbar eine Verwechslung: Das Gebäude grenzt unmittelbar an die örtliche Synagoge, vermutlich war sie das eigentliche Ziel.

Auch die Synagoge in Dortmund hatte Babak J. wohl im Visier. Er soll versucht haben, einen Komplizen für einen Brandanschlag anzuwerben. Der aber alarmierte die Polizei.

Die Behörden gehen außerdem von einem Zusammenhang mit einem Angriff auf das Rabbinerhaus neben der Alten Synagoge in Essen aus. Ebenfalls in der Nacht zum 18. November wurde es mit einer Waffe beschossen.

Noch Tage später ist bei der jüdischen Gemeinde in Essen die Verunsicherung greifbar.

Schalwa Chemsuraschwili, Vorsitzender Jüdische Gemeinde Essen

"Es ist schon Gewaltspirale auf höherer Ebene: Mit scharfer Waffe im Stadtzentrum jemand beschießt Synagoge. Natürlich war das ein tiefer Schock."

Mittlerweile ermittelt in der Sache der Generalbundesanwalt. Babak J. war wohl kein Einzeltäter. Wie zuerst Kontraste vor zwei Wochen berichtete, haben die Behörden Hinweise darauf, dass das antisemitische Mullah-Regime im Iran hinter den Angriffen steht. Die Ermittler sprechen von "Staatsterrorismus".

Nach dem Kontraste-Bericht kamen die Anschläge gestern auf die Tagesordnung im Bundestags-Innenausschuss. Hinter verschlossenen Türen erstattete ein Vertreter der Bundesanwaltschaft den Abgeordneten Bericht.

Martina Renner (Die Linke), Bundestagsabgeordnete

"Er hat ausgeführt, dass es den Anfangsverdacht gibt, dass dort die Täter im Auftrag eines ausländischen Geheimdienstes unterwegs seien und deswegen auch der Strafvorwurf der geheimdienstlichen Agententätigkeit im Raum steht."

Der mutmaßliche Drahtzieher soll nach Kontraste-Informationen aus dem Rocker-Milieu Nordrhein-Westfalens kommen: Ramin Y., ebenfalls Deutsch-Iraner und Gründer des Mönchengladbacher Ablegers der "Hells Angels."

Ein Lebemann, der den großen Auftritt liebt und in den sozialen Medien regelrecht zelebriert.

"Lamborghini, Lamborghini…"

Bei der Rheinischen Post in Mönchengladbach haben sie im Laufe der Jahre viele Zeitungsspalten mit Geschichten über den Rockerboss gefüllt.

Andreas Gruhn, Stellv. Redaktionsleiter Rheinische Post Mönchengladbach

"Er hat nicht zurückgezogen gelebt, sondern er hat sich gerne präsentiert. Er hat zu Partys eingeladen, er hat einen Fanshop eröffnet, wo Leute auch gerne eingekauft haben. Sie haben zu Rocker-Ausfahrten sich verabredet und sind mit der Kutte auf dem Rücken auf und durch die Stadt gefahren und haben damit signalisiert, so ein bisschen: Guck, wir sind hier."

Doch im Autohaus, in dem früher Ramin Y.s Luxuswagen standen, herrscht heute Leere. An ihn erinnert nur noch ein Werbeschild. Er hat sich vergangenes Jahr in den Iran abgesetzt.

Damals gab es Razzien gegen die Hells Angels. Es ging um den brutalen Mord an einem Rockerkollegen: Kai M. wurde erschossen und anschließend zerstückelt, die Leichenteile im Rhein versenkt. Erst Wochen später wurden sie am Flussufer angespült. Wegen der Tätowierungen an seinem Arm konnte Kai M. identifiziert werden.

Die Staatsanwaltschaft in Duisburg ist überzeugt: Ramin Y. hat diesen Mord eigenhändig begangen. Vergangenen Mittwoch stehen sechs seiner mutmaßlichen Komplizen in Zusammenhang mit dem Mord vor dem Landgericht. Der Boss selbst aber ist flüchtig.

Jill Mc Culler, Staatsanwältin Duisburg

"Seit September 2021 fahnden wir nach dem Beschuldigten weltweit, und zwar mit, ja, allem, was uns so zur Verfügung steht und vehement."

Doch der Zugriff der deutschen Justiz reicht nicht bis in den Iran. Ein Umstand, mit dem der Gesuchte ganz offen kokettiert:

Ramin Y., Beschuldigter

"Da kein Auslieferungsabkommen zwischen dem Iran und Deutschland besteht, ist jegliche Art und Weise, mich legal aus dem Land zu bekommen, nicht möglich."

Im Iran inszeniert sich der Rockerboss als Wohltäter. Er veröffentlicht ein Video, das ihn bei Lebensmittelspenden in Armenvierteln zeigt. Gleichzeitig scheint er über gute Beziehungen zu den Machthabern in Teheran zu verfügen: So soll er nach Erkenntnissen deutscher Ermittler mit den iranischen Revolutionsgarden in Verbindung stehen. Eine mächtige Parallel-Armee des Regimes, die dessen Herrschaftsanspruch gewaltsam durchsetzt.

Die gegenwärtige Protestbewegung im Land bekämpfen ihre Milizen mit äußerster Brutalität.

Deutsche Sicherheitspolitiker betonen: die Gefahr durch die Revolutionsgarden beschränkt sich aber nicht auf den Iran.

Sebastian Fiedler (SPD), Bundestagsabgeordneter

"Es ist natürlich durchaus bekannt, dass diese sogenannten Revolutionsgarden auch international unterwegs und aktiv sind und auch gegen missliebige Personen im Zweifel eben vorgehen. Das tun sie auch in Europa. Sie stellen eine gewisse Bedrohung dar, auch hier in Deutschland."

Die Ermittler vermuten, Ramin Y. leite eine operative Zelle für Anschläge in Deutschland an. Zumindest zum festgenommenen Tatverdächtigen Babak J. lässt sich eine Verbindung nachweisen.

Bei unseren Recherchen stoßen wir auf ein Dokument im Handelsregister der RM GmbH und Co KG. Hier war Ramin Y. Gesellschafter. Im Januar dieses Jahres aber ließ er seine Einlagen bei der Firma auf Babak J. überschreiben.

Über seinen Anwalt lässt uns der Rockerboss ausrichten, er bestreite die ihm zur Last gelegten Taten entschieden.

Auf Instagram schreibt er außerdem, es gebe

"…nicht automatisch einen Zusammenhang, wenn man mit einer beschuldigten Person vorher Kontakt hatte."

Allerdings gibt es Hinweise auf eine mögliche antisemitische Gesinnung Y.s: Neben einer großen Iran-Karte auf der Brust trägt er am rechten Oberarm eine Hakenkreuz-Tätowierung, wie mehrere Fotos belegen. Bemerkenswert auch eine weitere Aufnahme:

Sie zeigt den Rockerboss Seite an Seite mit Hamed Asghari, ein Sicherheitsbeamter, zuständig für hochrangige Vertreter des Regimes – hier etwa mit dem ehemaligen iranischen Außenminister. Zuletzt war Asghari verantwortlich für die Sicherheit des Leiters des iranischen Atomprogramms, Mohsen Fakhrizadeh, auch er Mitglied der Revolutionsgarde.

Der Wissenschaftler kam im November 2020 bei einem vermutlich von Israel ausgeführten Attentat ums Leben, Y.s Bekannter Asghari wurde dabei verletzt.

Nun also die Angriffe auf jüdische Ziele in Deutschland. Nach Anhaltspunkten der Ermittler sollte wohl auch Josef Schuster ausgespäht werden, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Wir treffen ihn bei einer Veranstaltung, die an die historische Vertreibung der Juden aus dem Iran erinnert. Schuster ist wenig überrascht.

Josef Schuster, Präsident Zentralrat der Juden in Deutschland

"Es ist natürlich eine Information, die erschreckt. Auf der anderen Seite muss ich auch sagen, dass es nicht das erste Mal ist, dass es eine Bedrohungslage seitens des Iran auch gegen meine Person gibt. Eine sehr Konkrete gab es bereits einmal vor einigen Jahren."

Im Bundestag mehren sich nun die Stimmen, die Revolutionsgarden endlich auf die Terrorliste der EU zu setzen. Die Außenministerin aber ist skeptisch. Wie sie schon mehrfach betont hat.

Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen), Außenministerin, 9.11.2022:

"Sie wissen aber, wie die Terrorlistung in Europa ist. Da kann nicht einfach die deutsche Außenministerin sagen, das ist jetzt meine persönliche Auffassung und deswegen machen wir das in Europa so, sondern wir müssen uns die Rechtslage anschauen."

Eine Listung sei derzeit aus juristischen Gründen nicht möglich, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Denn bislang gebe es innerhalb der EU noch kein Terror-Verfahren gegen die Revolutionsgarden als Ganzes.

Selbst innerhalb des Regierungslagers stößt diese Argumentation auf Unverständnis.

Bijan Djir-Sarai (FDP), Generalsekretär

"Ich halte das für eine Ausrede. Wenn ein Wille vorhanden ist, dann kann auch diese Organisation auf die sogenannte Terrorliste der EU gesetzt werden. Das ist aber zum jetzigen Zeitpunkt politisch nicht gewollt. Die Europäische Union versucht, selbst in dieser schwierigen Situation eine Hintertür offenzulassen für künftige Verhandlungen mit dem Regime. Ich bedaure das sehr."

Sollten sich die Vorwürfe gegen Ramin Y. und die Revolutionsgarden aber bewahrheiten, stünde Deutschlands Iran-Politik wohl vor einer Wende.

Beitrag von Anne Grandjean, Georg Heil und Markus Pohl

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